ZPO § 286

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BGH, Urt. v. 28.03.2001 - VIII ZR 183/00 - *

Aus dem Tatbestand: Die Kl. hatten mit ihrer Klage ursprünglich Mietzinsansprüche aus einem Geschäftsraummietvertrag geltend gemacht. Der Bekl. hat widerklagend von den Kl. und der Drittwiderbekl. Rückzahlung der geleisteten Kaufpreisanzahlung in Höhe von 1150 000 DM aus einem Kaufvertrag über Teile eines Unternehmens sowie Schadensersatz in Höhe von 58 708,46 DM verlangt. Der Kl. zu 2 hatte seit über 30 Jahren eine Einzelfirma "S-Kompressorenbau" in A. geführt und im Jahre 1989 dort eine Firma "A-GmbH" gegründet. Nach der politischen Wende, die zur deutschen Wiedervereinigung führte, erwarben er und seine Ehefrau, die Kl. zu 1, von der Treuhandanstalt eine alte Papierfabrik in S./Sachen. Die Betriebsräume vermieteten sie an die "A-GmbH", die ihre Betriebsstätte dorthin verlagerte. Die Einzelfirma "S-Kompressorenbau" reduzierte ihre Tätigkeit auf Kundendienst; Produktion und Vertrieb der Kompressoren übernahm die "A-GmbH", die Drittwiderbekl., die der Kl. zu 2 gemeinsam mit seinem Sohn führte. Am 27. 5. 1993 verunglückte der Sohn der Kl. bei einem Betriebsunfall tödlich. Am 4. 1. 1995 bot der Kl. zu 2 in der Tageszeitung "A-Allgemeine" ein "gutgehendes Maschinenbauunternehmen" zum Verkauf an. Hierauf kam es zu Vertragsverhandlungen zwischen dem Kl. zu 2 und dem Bekl. Als Veräußerungsmotiv nannte der Kl. zu 2 dem Bekl. den Tod des Sohnes. Im Auftrag der Kl. zu 2 erstellte der S teuerberater S eine Umsatz- und Ertragsvorschau über Nettoerlöse der Drittwiderbekl. für die Jahre 1995 bis 1997. Er gab auch schriftlich eine Wertung dahin gehend ab, dass seiner Auffassung nach ein Kaufpreis in Höhe von 2 Mio. DM unter Berücksichtigung eines Firmenwertes und des Kundenstammes auf jeden Fall gerechtfertigt sei. Die Firma A-R-GmbH betätigte sich als Vermittlungsmakler der Kl. und erstellte unter dem 4. 8. 1995 ein so genanntes Kurzexpos~, in dem die Drittwiderbekl. als gutgehendes und zukunftssicheres Unternehmen bei einem Umsatz von 2 Mio. DM bewertet wurde. Durch privatschriftlichen Kaufvertrag vom 19. 2. 1995 verkaufte die Drittwiderbekl. dem Bekl. ihr gesamtes Inventar, nämlich Warenbestand, Maschinen und Werkzeuge, sowie ihren Goodwill, bestehend aus technischem Know-how, Kundenstamm, Lieferanten und Markenname, zu einem Kaufpreis von insgesamt 1725 000 DM. Der Bekl. schloss gleichzeitig mit den Kl. einen Mietvertrag über die Geschäftsräume der Drittwiderbekl. Die Drittwiderbekl. gab am Tag nach dem Kaufabschluss die eidesstattliche Versicherung wegen einer Forderung von 3000 DM ab. Der Bekl. gründete in S./Sachsen die Firma "A-H-GmbH", die er als Geschäftsführer leitete. Im März 1997 stellte er wegen des schlechten Geschäftsgangs Antrag auf Gesamtvollstreckung, worauf das Gericht zunächst Sequestration anordnete. Mit Schreiben vorn 10. 3. 1997 focht der Bekl. den mit der Drittwiderbekl. geschlossenen Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an, desgleichen auch den Mietvertrag über die Produktionsräume, und forderte Rückzahlung der Anzahlung des Kaufpreises von 1,15 Mio. DM. Der Bekl. hat geltend gemacht, ihm sei der Eindruck eines gutgehenden und zukunftssicheren Unternehmens vermittelt worden, insbesondere durch die Angaben der Geschäftsführer der Firmen R-GmbH und S-GmbH. Bei Vorlage der tatsächlichen Umsatzzahlen wäre es nie zum Abschluss des Kaufvertrages gekommen. Er habe schon bald feststellen müssen, dass lediglich ein Umsatzvolumen von 60 000 DM monatlich zu erwirtschaften gewesen sei. Die Ertragsvorschau des Steuerberaters sei aus der Luft gegriffen. Anfang des Jahres 1997 habe er erst erfahren, dass der Kl. zu 2 am 20. 12. 1995 als geschäftsführender Gesellschafter der Drittwiderbekl. die eidesstattliche Versicherung geleistet habe. Die Kl. und die Drittwiderbekl. haben demgegenüber behauptet, der Steuerberater S habe bei seinen Auskünften nicht in ihrem Auftrag gehandelt; der Bekl. habe vor Kaufabschluss auch nicht nach Bilanzen gefragt. Den Umsatzeinbruch habe der Bekl. durch falsches Wirtschaften selbst verursacht. Die eidesstattliche Versicherung sei wegen der Forderung in Höhe von 3000 DM erfolgt, weil die Drittwiderbekl. diese Forderung als ungerechtfertigt nicht habe bezahlen wollen.
Das LG hat nach Abtrennung des Verfahrens über die Klage von dem Verfahren über die Widerklage den Rechtsstreit über die Mietzinsansprüche an das örtlich zuständige LG L. verwiesen und sodann unter Abweisung der Widerklage im Übrigen die Drittwiderbekl. verurteilt, an den Bekl. 1150000 DM nebst 9% Zinsen hieraus seit dem 25. 3. 1996 zu zahlen. Das BerGer. hat die Widerklage insgesamt abgewiesen. Der Senat hat die Revision des Bekl. nur insoweit angenommen, als sie sich gegen den Kl. zu 2 und die Drittwiderbekl. richtet. Im Umfang der Annahme führte die Revision zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des BerGer.



Enzscheidungsgründe: 1. Das BerGer. hat ausgeführt: Der Bekl. habe keinen Anspruch auf Rückzahlung des teilweise geleisteten Kaufpreises sowie auf Schadensersatz, da er vom Kl. zu 2 nicht getäuscht worden sei. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Prädikatisierung "gutgehendes Maschinenbauunternehrnen" wie in der Zeitungsanzeige - für die Zeit vor Veräußerung des Kaufgegenstandes gerechtfertigt gewesen sei und die Darstellung des Bekl., der Vertragsgegenstand sei den vereinbarten Kaufpreis nicht wert gewesen, falsch sei. Der Sachverständige W sei in seinem schriftlichen Gutachten und in den Erläuterungen hierzu überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Produktionsanlage, das Büro und der Warenbestand einen Wert von 1,925 Mio. DM bzw. 2,015 Mio. DM gehabt hätten und die unterste Wertgrenze nach dem Ertragsbarwertmodell bei rund 2 Mio. DM gelegen habe. Die dem Abschluss des Vertrags zu Grunde liegende Umsatz- und Ertragsvorschau des Steuerberaters S sei zutreffend gewesen. Die Bewertung des Sachverständigen habe ergeben, dass der Vertragsgegenstand zumindest den Kaufpreis wert gewesen sei. Der Sachverständige habe überzeugend ausgeführt, dass der Rückgang der Umsatzzahlen und der Gewinnsituation in den Jahren 1994 und 1995 durch den Tod des Sohnes der Kl. veranlasst worden sei, weswegen er in seinen Berechnungen nur die Jahre bis einschließlich 1993 aufgenommen habe. Der Bekl. sei auch nicht im Hinblick auf die gegen die Drittwiderbekl. titulierte Forderung in Höhe von 3000 DM getäuscht worden. Der Geschäftsführer der Drittwiderbekl. habe diese Forderung in dem zum Vertragsschluss führenden Gespräch ausdrücklich erwähnt und als nicht gerechtfertigt bezeichnet. Im Übrigen sei nicht zu erkennen, inwieweit das neu gegründete Unternehmen "A-H-GmbH" durch eine vom Geschäftsführer des alten Unternehmens "A-GmbH" veranlasste relativ geringfügige und nicht erfüllte Forderung in seinem Ruf hätte belastet werden sollen.



II. Die Ausführungen des BerGer. halten den Angriffen der Revision nicht stand. Die Erwägungen, mit denen das BerGer. eine arglistige Täuschung des Bekl. durch den Kl. zu 2 verneint, beruhen nicht auf rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen (§ 286 ZPO). Daher ist für die Entscheidung des BerGer., soweit die Klage gegen den Kl. zu 2 und die Drittwiderbekl. abgewiesen worden ist, keine tragfähige Grundlage vorhanden.

1. Die Revision ist der Ansicht, das BerGer. habe seiner Beurteilung, der Vertragsgegenstand sei den vereinbarten Kaufpreis von netto 1,5 Mio. DM wert gewesen, das eingeholte Wertgutachten des Sachverständigen W nicht uneingeschränkt zu Grunde legen dürfen, weil das Gutachten widersprüchlich sei und von Annahmen ausgehe, die nicht vorgetragen seien. Das trifft zu.

a) Der Sachverständige geht im Ansatz richtig von einem Unternehmenskauf aus. Die Revision rügt aber zu Recht, das Gutachten des Sachverständigen W leide an dem inneren Widerspruch, dass der Sachverständige zur Ermittlung des Unternehmenswertes zwar das so genannte Ertragswertverfahren für das gebotene Verfahren hält, bei der endgültigen Beantwortung der Frage, ob der Vertragsgegenstand des Kaufvertrages mehr oder weniger als 1,5 Mio. DM wert gewesen sei, aber nicht vom Ertragswertverfahren, sondern vielmehr vom Substanzwertverfahren ausgehe, indem er die techniechen Anlagen des Betriebes mit 1435 000 DM und den Warenwert mit mindestens 490 000 DM bewertet sowie zu diesem Wert den Goodwill addiere. Auch bei seiner Anhörung vor dem BerGer. hat der Sachverständige ausgeführt, die übertragenen Produktionsanlagen und die Büroausstattung hätten einen Substanzwert von 1,4 Mio. DM gehabt, so dass angesichts des Kaufpreises von 1,5 Mio. DM nur noch der Goodwill habe fraglich sein können. Wenn aber, wie der Sachverständige meint, eine keine Ertrag bringende Substanz unter dem Gesichtspunkt des "going concern" für ein Unternehmen auch keinen wirtschaftlichen Wert hat, dann kann er, wie die Revision zutreffend darlegt, bei der Ermittlung des Wertes des fortzuführenden Unternehmens nicht trotzdem auf den von dem Ertragswert des Unternehmens unabhängigen Substanzwert von 1,4 Mio. DM der Produktionsanlagen und der Büroausstattung abstellen.



b) Zu Recht weist die Revision ferner darauf hin, dass die Erwägungen des Sachverständigen widersprüchlich sind, die die Feststellung eines Ertragsbarwertes der A-GmbH zum Bewertungsstichtag 19. 12. 1995, dem Tag des Kaufvertragsabschlusses, in Höhe von 3 168 000 DM rechtfertigen sollen. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten aus, dass "das Rückschauanalyseprinzip nach den Regeln der Kunst bzw. der Rechtsprechung die Bewertung der letzten drei bis sechs Jahre erfordert". Der Sachverständige begründet dies plausibel damit, dass man eine bestimmte Mindestzahl von Jahren benötige, um überhaupt eine tragfähige Beurteilungsbasis zu besitzen; außerdem sei eine Mindestzahl von Jahren notwendig, um die Repräsentativität der einzelnen Jahre für das Unternehmen abschätzen zu können. Diesen Erwägungen folgt dann der Hinweis, dass entweder das arithmetische Mittel aus den bereinigten Jahresergebnissen zu bilden sei oder eine Gewichtung in der Weise zu erfolgen .habe, dass dem gegenwartsnächsten Jahr das größte Gewicht beizumessen sei. Die einzelnen jahreserträge und Umsätze stellt der Sachverständige wie folgt fest:



Jahr Jahresbeträge Umsätze
1991 160.296,00 DM 534.182,00 DM
1992 407.044,00 DM 2.546.401,00 DM
1993 482.120,00 DM 2.412.824,00 DM
1994 -58.359,00 DM 1.318.078,00 DM
1995 -520.766,00 DM 961.958,00 DM

Bei der Unternehmensbewertung lässt der Sachverständige sodann die negativen Betriebsergebnisse der Jahre 1994 und 1.995 wegen des Todes des Sohnes der Kl. unberücksichtigt, da sich hierdurch "eine für das Unternehmen ungünstige Situation ergab". Damit legt der Sachverständige seiner Beurteilung Feststellungen zu Grunde, die das Gericht nicht getroffen hat, und beachtet zudem die von ihm selbst festgestellten Voraussetzungen für eine richtige Bewertung des Unternehmens nicht.



aa) Die tatsächliche Annahme des Sachverständigen, durch den Tod des Sohnes der Kl. habe sich eine für das Unternehmen ungünstige, außergewöhnliche Situation ergeben, da ,leine treibende Kraft weggefallen" und der Rückgang der Umsatz- und Gewinnzahlen in den Jahren 1994 und 1995 durch den Töd des Sohnes veranlasst worden sei, beruht weder auf entsprechenden Feststellungen des Gerichts, noch ergibt sie sich aus dem Vortrag der Parteien. Der Bekl. hatte vielmehr im Gegenteil behauptet, der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens sei von der Leitung des Kl. zu 2 abhängig gewesen und nicht von dessen 25 Jahre altern Sohn.

bb) Da nach den Bewertungsgrundsätzen des Sachverständigen eine Beurteilungsbasis von mindestens drei Jahren erforderlich ist, hatte der Sachverständige, was das BerGer. verkennt, bei Außerachtlassung der Jahre 1994 und 1995 keine tragfähige Beurteilungsbasis mehr. Der Sachverständige meint zwar in seinem Gutachten vom 23. 3. 1999, er könne Aas Rückschauanalyseprinzip" im Falle der A-GmbH zum Stichtag 19. 12. 1995 voll einhalten, da "fünf volle Berechnungszeiträume, nämlich die Jahre 1991 bis 1995 einschließlich, in die Vergangenheitsanalyse einbezogen wurden". Der Sachverständige führt dann aber in seiner ergänzenden Stellungnahme vorn 17. 12. 1999 aus, das Jahr 1991 sei nicht repräsentativ, weil erst im September jenes Jahres die Produktion aufgenommen worden sei. Dem Sachverständigen stehen damit als Beurteilungsbasis nur noch die Jahre 1992 und 1993 zur Verfügung, was nach seinen eigenen gutachterlichen Darlegungen für eine Bewertung gerade nicht ausreicht.



cc) Nach den vom Sachverständigen aufgestellten Grundsätzen zur Unternehrnensbewertung hätte den Jahren 1994 und 1995 als den gegenwartsnächsten Jahren das größte Gewicht beigemessen werden müssen. Diese beiden Jahre weisen aber negative Betriebsergebnisse auf, und zwar nach den Feststellungen des Sachverständigen im Jahre 1994 immerhin -58.359 DM und im Jahre 1995 sogar -520.766 DM bei einem Umsatz von nur 961.958 DM.

c) Das Gutachten des Sachverständigen bietet deshalb keine ausreichende Grundlage für die tatrichterliche Überzeugungsbildung davon, der Bekl. sei durch die Drittwiderbekl. und deren Geschäftsführer, den Kl. zu 2, nicht getäuscht worden, da der Vertragsgegenstand zumindest den Kaufpreis wert gewesen sei.

III.. Die Zurückverweisung der Sache gibt dem BerGer. Gelegenheit, den nach seiner Ansicht maßgeblichen Sachverhalt festzustellen. Bei der Zurückverweisung hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 I 2 ZPO Gebrauch gemacht.



* Quelle: NJW-RR 2001, 1508 f