VVG § 61

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- Stand: 19. September 2003 - Volltextsuche - Datenschutz - Sicherheit - News and more! - Suchmaschinen - Google (Test 2/2003 - gut - 2,1)

OLG Rostock, Urteil vom 30.4.2003 - 6 U 249/01 *

Tatbestand: Der Kl macht Ansprüche aus einer Fahrzeug-Vollversicherung geltend. Der Kl befuhr am 30.9.2000 gegen 16.39 mit seinem PKW die H-Straße in H. Er wohnte zu diesem Zeitpunkt noch in L und befuhr die Strecke an diesem Tag erstmalig. Der Kl näherte sich dem Kreuzungsbereich... Zu diesem Zeitpunkt war die für den Kl maßgebliche Ampel auf rot geschaltet. Unmittelbar vor der Ampel führt eine Fußgängerbrücke über die H-Straße, bei der es sich um eine mehrspurige Hauptverkehrsader mit hohem Verkehrsaufkommen und hektischem Großstadtverkehr handelt. An dieser Brücke befinden sich Ortshinweisschilder. Unmittelbar bevor der Kl den Kreuzungsbereich erreichte, rief seine Beifahrerin dem Kl zu, dass er nach rechts abbiegen müsse. Der Kl erschrak, sah auf die Hinweisschilder, um sich zu orientieren, ob er noch kurzfristig einen Spurwechsel vornehmen müsse. Dabei übersah er, dass die Ampel auf rot geschaltet war und fuhr in den Kreuzungsbereich hinein. Sein Fahrzeug kollidierte dort mit einem Linksabbiegerfahrzeug.

Entscheidungsgründe: „ ... Dem Kl steht ein Anspruch gem. §§ 1, 49 VVG i.V.m. § 12 2 I e AKB nicht zu. Das LG hat den Anspruch zutreffend wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 61 VVG abgewiesen, wonach der VR von der Verpflichtung zur Leistung frei wird, wenn der VN den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Auch unter Berücksichtigung des neuen Tatsachenvorbringens des Kl hat dieser den Verkehrsunfall grob fahrlässig herbeigeführt.



1. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH VersR 1966, 1150; BGH VersR 1989, 582, 583; BGH NJW 1992, 3235, 3236; BGH NJW 2001, 2092, 2093). Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß übersteigt.

Neben dem objektiven nur auf die Verhaltensanforderungen des Verkehrs abstellenden Maßstab sind somit auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen. Subjektive Besonderheiten können im Einzelfall im Sinne einer Entlastung von dem schweren Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ins Gewicht fallen (BGH VersR 1992, 1085 f.).

2. Es gibt zwar keinen Grundsatz, nach dem das Nichtbeachten des Rotlichts einer Verkehrsampel - wie hier - stets als grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles anzusehen ist (BGH, Urt. v. 29.1.2003 - IV ZR 173/01 -, zfs 2003, 242).

3. Die vom Kl aufgeführten Umstände rechtfertigen es indes nicht, den Schuldvorwurf geringer als grob fahrlässig zu werten.

a) Die Feststellung, es handele sich um ein Augenblicksversagen, reicht zur Verneinung grober Fahrlässigkeit nicht aus, da in einer Vielzahl der Fälle unbewusster Fahrlässigkeit, insbesondere bei Regelverstößen im Straßenverkehr lediglich ein Augenblicksversagen vorliegt, bei dem der Handelnde für eine kurze Zeit unaufmerksam ist und das an ihn gerichtete Gebot oder Verbot übersieht. Da die nur momentane Unaufmerksamkeit unterschiedliche Ursachen haben kann, müssen deshalb weitere subjektive Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen (BGH VersR 1992, 1085 f.; BGH, Urt. v. 29.1.2003 - IV ZR 173/01 - zfs 2003, 242). Der vom OLG Frankfurt gewählte Maßstab zur Bestimmung des Rechtsbegriffs der groben Fahrlässigkeit findet von daher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Stütze und wird vom Senat nicht geteilt.



b) Der VN hat die besonderen ihn entlastenden Umstände darzulegen. Legt er keine Besonderheiten dar, hat der Tatrichter im Rahmen seiner Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO die Möglichkeit, vom äußeren Geschehensablauf oder vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit zu schließen (BGH VersR 1989, 582 [584]).

aa) Zwar ist auch für die subjektive Seite des Schuldvorwurfs gem. § 61 VVG die Bekl als VR darlegungs- und beweispflichtig.

bb) Gleichwohl ist es Sache des VN, die Tatsachen vorzutragen, deren Abwägung die Herabstufung des Schuldvorwurfes der groben Fahrlässigkeit erlauben. Das entspricht dem allgemeinen prozessualen Grundsatz, wonach die nicht beweisbelastete Partei ausnahmsweise eine Substantiierungslast treffen kann, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufes steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während sie der anderen Partei bekannt sind und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind (BGH, Urt. v. 29.1.2003 - IV ZR 173/01 - mit Hinweisen auf BGH NJW 1999, 1404 unter II 2b aa m.w.H.; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., vor § 284 Rn 24/34 ff.)

cc) So liegt der Fall hier. Der Kl allein ist in der Lage, die Vorgänge zu schildern, die zu dem Rotlichtverstoß führten, während die Bekl nicht über Erkenntnisquellen verfügt.



b) Das LG hat zutreffend ausgeführt, dass die vom Kl vorgetragenen Ursachen für seinen Rotlichtverstoß das Einfahren in die Kreuzung bei Rotlicht auch subjektiv als unentschuldbares Fehlverhalten, also als ein grobes Versehen erscheinen lassen. Das ergänzende Klägervorbringen in der Berufungsinstanz rechtfertigt eine andere Beurteilung durch den Senat nicht.

aa) Die fehlende Fahrpraxis im Großstadtverkehr ist wie die Ortsunkundigkeit ein Umstand, der den Kl zu erhöhter Sorgfalt und Aufmerksamkeit hätte veranlassen müssen.

bb) Auch die übrigen Ursachen der augenblicklichen Überforderung bei Erreichen der Ampel entlasten den Kl nicht. Sein Vorbringen erlaubt den Schluss, dass der Kl sich bis zu dem Zeitpunkt, als die Beifahrerin ihm zurief, er müsse rechts abbiegen, nicht ausreichend orientiert hat. Der Kl durfte sich jedoch aufgrund der schon gegebenen Nähe zur Kreuzung wegen seiner Unerfahrenheit mit dem hektischen, schnell fließenden Großstadtverkehr nicht vordringlich auf die Frage konzentrieren, ob er, um sein Fahrziel zu erreichen, einen Spurwechsel durchführen müsse, wenn er dabei nicht das zur Beachtung der Lichtzeichenanlage erforderliche Mindestmaß an Konzentration aufzubringen vermochte. Da der Kl seine augenblickliche Überforderung somit selbst mitverursacht hat, kann ihn diese nicht entlasten. Die Bekl hat deshalb mit Recht darauf hingewiesen, dass der Kl notfalls die Fahrt auch in aus seiner Sicht falscher Richtung hätte fortsetzen müssen, um sich dann an einem Punkt zu orientieren, an dem dieses gefahrlos möglich gewesen wäre.



4. Der Kl kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Auffassung des OLG Frankfurt (zfs 2001, 459) stützen.

a) Ausweislich der Gründe dieser Entscheidung lag dem OLG Frankfurt eine völlig andere Sachverhaltskonstellation zur Beurteilung vor. In dem dort zu entscheidenden Fall hatte der Kl sich der weitläufig angelegten Kreuzung bei Rotlicht angenähert und sein Fahrzeug deshalb angehalten. Während er an der Ampel stand, bemerkte er links neben sich ein anderes Fahrzeug, schaute in dieses hinein, erkannte einen Arbeitskollegen und grüßte ihn. Als er den Blick wieder nach vorne richtete, registrierte er gegen die Tatsachen grün für seine Fahrtrichtung und fuhr los. Das OLG Frankfurt folgerte aus den geschilderten Umständen, dem Kl im dortigen Verfahren müsse eine Fehldeutung irgendeines in seinem Blickfeld gelegenen optischen Signals Tit der Folge unterlaufen sein, dass er subjektiv voller Uberzeugung erfüllt gewesen sei, es sei soeben grün geworden und daraufhin losgefahren sei. Solche Umstände hat der KI im hiesigen Verfahren gerade nicht dargetan.

b) Im Übrigen hat sich der BGH - wie bereits angeführt - im Urt. v. 29.1.2003, dem die angefochtene Entscheidung des OLG Frankfurt zugrunde lag, der Definition des Begriffs der groben Fahrlässigkeit durch das OLG gerade nicht angeschlossen, sondern am Grundsatz der einheitlichen Bestimmung des Rechtsbegriffs der groben Fahrlässigkeit (BGH VersR 1966, 1150; BGH VersR 1989, 582, 583; BGH NJW 1992, 3235, 3236; BGH NJW 2001, 2092, 2093) festgehalten, um eine kaum überschaubare Aufsplitterung des Begriffes des groben Fahrlässigkeit i.S.d. § 61 VVG und damit eine nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheit zu vermeiden. Dem folgt auch der Senat aus dem überzeugenden Gründen der genannten BGH-Entscheidung ... "



* Quelle: ZfS 2003, 356 f