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OLG Hamm, Urteil vom 05.11.2002 - 19 U 41/02 *
Tatbestand: Die Kl. nimmt den Bekl. auf Bezahlung ihrer Telefonrechnung für den Monat Januar 2000, die sich über insgesamt
14913,40 DM beläuft, in Anspruch. Neben in der Berufungsinstanz unstreitig gestellten monatlichen Nettogrundgebühren von 21,38
DM und ebenfalls mittlerweile unstreitig gestellten City-, Regional- und Deutschlandverbindungen von 4,23 DM weist diese
Rechnung einen Nettobetrag von 12830,77 DM für eine am 20. 1. 2000 hergestellte, insgesamt 68 Stunden, 22 Minuten und 43
Sekunden andauernde Verbindung zu einer 0190-Servicenummer auf. An dem Anschluss des Bekl., der sich in einem in seinem
Wohnhaus eingerichteten Büroraum befindet, ist ein von der Kl. früher vertriebenes kombiniertes Telefon-Telefaxgerät vorn Typ
"AF 310 T" angeschlossen, das über einen eingebauten Raumlautsprecher verfügt, der durch Betätigen einer dafür vorgesehenen
Taste eingeschaltet werden kann. Der Bekl. verfügt darüber hinaus in seinem Haus über einen zweiten Telefonanschluss zum Netz
der Kl. mit einer anderen Rufnummer. Von diesem Anschluss aus wurden in den Monaten Mai bis November 1999 Gespräche zu
0190-Nummern mit monatlichen Gebühren von durchschnittlich 38 DM geführt. Den hier streitigen Anschluss nutzt der Bekl. nach
seinem Vorbringen ohne Ausnahme als Faxanschluss. Das LG hat den Bekl. zur Zahlung des Rechnungsbetrags von 14.913,40 DM
nebst 4% Zinsen verurteilt und die Klage lediglich wegen der Zinsmehrforderung abgewiesen. Die Berufung des Bekl. hatte im
Wesentlichen Erfolg.
Entscheidungsgründe: Die Kl. kann - neben dem zwischen den Parteien unstreitigen Gebührenaufkommen in Höhe von 15,19 Euro
(= 29,71 DM) - von dem Bekl. auf Grund des zwischen den Parteien abgeschlossenen Telefondienstvertrags lediglich die Zahlung
weiterer 111,24 Euro verlangen.
1. Ohne Erfolg wendet sich der Bekl. allerdings gegen die Feststellung des LG, das in der Rechnung vom 2. 2. 2000 für die
Verbindung zu der 0190-Servicenummer ausgewiesene Entgelt in Höhe von 12830,77 DM netto sei ordnungsgemäß erfasst
worden. Die Kl. hat die von dem Bekl. ihr gegenüber am 7. 2. 2000 telefonisch erhobenen Beanstandungen zum Anlass genommen,
in der Zeit vom 7. 4. 2000 bis zum 8. 5. 2000 eine Vollprüfung der Telefoneinrichtung und der Gebührenerfassung durchzuführen.
Wie der technische Mitarbeiter der Kl., der Zeuge 0, gegenüber dem Senat bestätigt hat, beschränkte sich diese Untersuchung nicht
nur auf die Telefoneinrichtungen im Hause des Bekl., sondern erfasste auch sämtliche von dem Anschluss des Bekl. aus erreichbaren
technischen Einrichtungen in der Vermittlungsstelle sowie das Kabelnetz. Auch die Überprüfung des Hausverteilerkastens für den
Telefonanschluss des Bekl. hat keinerlei Anhaltspunkte für eine so genannte "Aufschaltung" eines Dritt-Telefonanschlusses ergeben.
Vielmehr ergab die Überprüfung, wie dies auch in den Prüfunterlagen dokumentiert ist, die Ordnungsmäßigkeit der technischen
Einrichtungen. Nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen spricht unter diesen Umständen der Beweis des ersten
Anscheins dafür, dass die Telefoneinheiten von dem Anschluss des Bekl. verursacht und auch verbraucht worden sind (vgl. zum
Problemkreis OLG München, ArchivPT 1997, 54; OLG Düsseldorf, Archiv PT 1998, 53; OLG Köln, NJW-RR 1998, 1363). Dies
gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Vollprüfung erst im April/Mai 2000 erfolgt ist. Insoweit hat der Zeuge 0
vor dem Senat bestätigt, dass für den Zeitraum, in dem das Gespräch geführt worden ist, keinerlei Fehlermeldungen aufgezeichnet
worden seien, was aber der Fall gewesen wäre, falls es technische Fehler gegeben hätte. Es sind keine Anhaltspunkte dafür
ersichtlich geworden, dass die Vollprüfung auf Grund des zeitlichen Abstands für die hier streitige Verbindung nicht oder nur
eingeschränkt aussagekräftig sein könnte.
II. Dem Bekl. ist es nicht gelungen, den damit gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. (Wird ausgeführt.)
III. Es kann dahingestellt bleiben, ob die streitige Verbindung für ein Telefonsex-Gespräch genutzt worden ist, denn dies würde
nicht zur Unwirksamkeit des Telefondienstvertrags nach § 138 BGB führen (BGH, NJW 2002, 361). Gleichwohl kann die Kl. von
dem Bekl. lediglich ein Entgelt in der ausgeurteilten Höhe verlangen.' Für die am 20. 1. 2000 hergestellte und bis zum 23. 1. 2000
um 9:23:07 Uhr bestehende Langzeitverbindung zu der 0190Servicenummer steht der Kl. nur ein Anspruch auf Zahlung für ein eine
Stunde dauerndes Gespräch in Höhe von 111,24 Euro brutto zu.
Zwar ist, wenn wie hier davon auszugehen ist, dass die Verbindung die gesamte Zeit über bestanden hat, grundsätzlich der Kunde
verpflichtet, die für diesen Zeitraum anfallenden Telefongebühren zu bezahlen. Dies ergibt sich aus § 5 TKV, wonach die
Entgeltpflicht des Kunden sich nach dem gesamten Zeitraum des Bestehens der Telefonverbindung richtet. Die Kl. hat jedoch eine
sich aus dem mit dem Bekl. abgeschlossenen Telefondienstvertrag ergebende Nebenpflicht verletzt. Sie wäre verpflichtet gewesen,
zum Schutz ihres Kunden, des Bekl., eine automatische Abschaltung der Verbindung vorzunehmen, nachdem diese für die Dauer
einer Stunde bestand, auch wenn zum damaligen Zeitpunkt eine solche automatische Abschaltung nicht vorgesehen war. Der Senat
schließt sich insoweit der Auffassung des LG Heidelberg in seinem Urteil vom 17. 5. 2002 (LG Heidelberg, NJW 2002, 2960) an.
Jede Partei hat sich so zu verhalten, dass Personen, Eigentum, sonstige Rechtsgüter und auch das Vermögen des anderen
Vertragsteils nicht verletzt werden, und hat dabei ihre Rechte schonend auszuüben (vgl. zum Problemkreis B GH, NJW 1983,2813).
Der Kunde geht, wenn er selbst eine Telefonverbindung hergestellt hat, davon aus dass die Verbindung beendet wird, sobald er den
Hörer aufgelegt hat, und dass damit auch die entgeltpflichtige Leistung des Netzbetreibers beendet ist, also keine weiteren
Gesprächsentgelte mehr berechnet werden. Die Kl. hat mit Schriftsatz vom 1. 8. 2001 verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, die
zu einem versehentlichen Fortbestand der Verbindung führen können, wenn der Kunde meint, die Verbindung unterbrochen zu
haben. Unter anderem soll bei Geräten mit Lautsprecherfunktion besondere Sorgfalt zur Beendigung der Verbindung zu beachten
sein, da das einmalige Auflegen des Hörers nicht ausreiche. Entweder müsse der Hörer zweimal aufgelegt oder eine Funktionstaste
gedrückt werden. Denkbar sind auch technische Defekte am Gerät des Kunden. Ferner besteht die Gefahr eines schadensträchtigen
Handelns Dritter. Wird jedoch eine Telefonverbindung nicht endgültig beendet, ohne dass dem Kunden dies auffällt, kann sich dieser
- wie der vorliegende Fall zeigt - sehr hohen Forderungen ausgesetzt sehen, ohne dass er hierfür eine ihm nützliche Leistung erhält.
Gerade bei den 0190-Sondernummern ist diese der Kl. bekannte Gefahr besonders groß. Da die Tarife für solche
Telefondienstleistungen deutlich höher liegen als die sonstigen für Telefongespräche zu entrichtenden Entgelte, entspricht es einem
redlichen Geschäftsverkehr und auch dem Vertragzweck, wenn der das Telefonnetz unterhaltende Vertragspartner
Schutzvorkehrungen ergreift, um unbeabsichtigte Kosten für den Kunden soweit wie möglich zu vermeiden. Dies gilt umso mehr, da
die Kl. von Beginn des Gesprächs an und sodann alle weiteren 1795 Sekunden, also jede halbe Stunde, Datensätze gebildet und
somit schon nach einer Stunde bei ihr Informationen über eine Dauerverbindung vorlagen. Der Kunde kann in so einem Fall, in dem
ersichtlich von dem Dienstesanbieter keine Leistungen mehr entgegengenommen werden, redlicherweise erwarten, dass diese
Dauerverbindung von dem Telefonnetzbetreiber unterbrochen wird, was ohne weiteres technisch möglich ist. Unstreitig ist im März
2000 eine entsprechende Anweisung der Regulierungsbehörde veröffentlicht worden und seitdem durch Zwangsunterbrechung nach
einer Stunde sichergestellt, dass kein Endverbraucher durch eigene Unachtsamkeit oder das Verhalten Dritter in dem hier
vorliegenden Umfang geschädigt wird. Dabei spielt es für die Frage, ob eine derartige nebenvertragliche Schutzpflicht zu bejahen ist,
keine Rolle, ob auf Seiten des Kunden, von dem die Telefonverbindung hergestellt worden ist, ein Bedienungsfehler seines
Telefonapparats - wie er von der Kl. als möglich dargestellt ist - oder ein sonstiger technischer Defekt für die Nichtbeendigung der
Verbindung ursächlich gewesen ist. Entscheidend ist vielmehr auf die generell denkbaren Ursachen, die zu einer hohen
Telefonrechnung und damit zu einem hohen Schaden führen können, abzustellen.
Soweit die Kl. darauf hinweist, dass auch etwa Wasser-, Gas- und Stromversorgungsunternehmen solche Schutzpflichten nicht
obliegen, hält der Senat die Sachverhalte in Bezug auf die Art der Leistung, die Gefahr der unbeabsichtigten Verursachung hoher
Kosten und die technische Möglichkeit des Kundenschutzes nicht für vergleichbar.
Kunden, die die Dienste eines 0190-Serviceanbieters über mehr als eine Stunde in Anspruch nehmen wollen, ist es zuzumuten, sich
in diesen Service erneut einzuwählen.
Gegen eine Schutzpflicht des Telefonnetzbetreibers zur Zwangsunterbrechung sprechen auch keine vertraglichen oder gesetzlichen
Bindungen des Telefonnetzbetreibers gegenüber dem Telefondienstanbieter, wie etwa der sich aus § 9 I TKV ergebende
Kontrahierungszwang. Während früher die Frage, welche Vertragsbeziehungen bei Inanspruchnahme von 0190-Rufnummern
zwischen dem Kunden, dem Telefonnetzbetreiber und dem Diensteanbieter bestehen, in Rechtsprechung und Literatur kontrovers
diskutiert und beantwortet worden ist (vgl. hierzu Graf v. Westphalen1GrothelPohle, Der Telefondienstvertrag, 2001, S. 36 ff.),
sind nach der Entscheidung des BGH vom 22. 11. 2001 (vgl. BGH, NJW 2002, 361) jedenfalls mindestens zwei unterschiedliche
Vertragsund Rechtsverhältnisse zu unterscheiden: die die technische Seite des Vorgangs betreffende und im Rahmen des
Telefondienstvertrags zu erbringende Dienstleistung des Telekommunikationsunternehmens (vgl. § 3 Nrn. 16, 19 TKG) und die die
inhaltliche Seite des Vorgangs betreffende "weitere Dienstleistung" des Telefondienstanbieters. Jedes dieser Vertragsverhältnisse ist
rechtlich selbstständig, wobei sowohl das auf den Telefondienstvertrag in Verbindung mit der geltenden Preisliste gestützte
Abrechnungsverhältnis des Telefonnetzbetreibers zu seinem Kunden als auch das auf der Zusammenschaltungsvereinbarung zu der
Telekom beruhende Abrechnungsverhältnis zu dem Dienstanbieter von der konkret in Anspruch genommenen Dienstleistung -
anders als bei herkömmlichen Inkassogeschäften - gelöst ist. Bei einer solchen Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen ist der
Telefonnetzbetreiber dem Anbieter von Telefondiensten nur insoweit verpflichtet, als er selbst nicht gegen Verpflichtungen aus
seinem Vertragsverhältnis zu seinem Kunden verstößt. Die von einem Telefonnetzbetreiber wegen seiner nebenvertraglichen
Schutzpflicht gegenüber seinem Kunden zu verlangende automatische Abschaltung zu einer 0190-Servicenummer stellt sich
demgemäß nicht als Verletzung vertraglicher Verpflichtungen gegenüber dem Telefondienstanbieter dar.
Da die Kl. die sich aus dem Vertragsverhältnis zu dem Bekl. ergebende nebenvertragliche Verpflichtung dadurch verletzt hat, dass
sie die Verbindung zu der 0190-Nummer nicht nach einer Stunde abgeschaltet hat, kann der Bekl. dies im Rahmen des
Schadensersatzes wegen positiver Vertragsverletzung dem von der Kl. geltend gemachten Anspruch auf Zahlung des
Telefonentgelts entgegenhalten. Die Kl. hat den Bekl. so zu stellen, als wäre das Gespräch nach einer Stunde beendet worden, so
dass der Kl. gegenüber dem Bekl. neben den unstreitigen Telefongebühren in Höhe von 15,19 Euro nur ein weiteres Entgelt für
1800 Tarifeinheiten in Höhe von 111,24 Euro (1800,00 x 0,1042 DM netto = 187,56 DM zuzüglich 16% Mehrwertsteuer in Höhe
von 30,01 DM = 217,56 DM = 111,24 Euro) zusteht. Zusammen mit dem unstreitigen Rechnungsbetrag in Höhe von 15,19 Euro
errechnet sich daher ein Zahlungsanspruch der Kl. in Höhe von 126,43 Euro.
* Quelle: NJW 2003, 760 f