§ 3 StrEG, § 153a StPO

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OLG Frankfurt/M, Beschluss v. 22.09.2000, 3 Ws 900/00 *

Der frühere Angeschuldigte wurde am 03. November 1994 wegen des Verdachts des Betruges zu Lasten einer Versicherung in 60 Fällen vorläufig festgenommen und befand sich bis zum 29. November 1994 in Untersuchungshaft. Am 29. November 1994 wurde der Haftbefehl vom 04. November 1994 mit der Maßgabe außer Vollzug gesetzt, daß der frühere Angeschuldigte keinen Kontakt zu den damaligen Mitbeschuldigten und den Zeugen in dem betreffenden Verfahren haben durfte. Am 10. März 1997 wurde der Haftbefehl aufgehoben. Das Landgericht Limburg stellte mit Beschluss vom 12. Januar 2000 mit Zustimmung des früheren Angeschuldigten das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO vorläufig ein und erteilte dem früheren Angeschuldigten die Auflage, DM 3.500,00 an den Verein für Straffälligenhilfe im Landgerichtsbezirk Limburg zu zahlen. Nach Erfüllung der Auflage erfolgte die endgültige Einstellung durch Beschluss des Landgerichts Limburg vom 21. März 2000. Das Landgericht sah in diesem Beschluss davon ab, dem früheren Angeschuldigten eine Entschädigung für die vorläufige Festnahme und die erlittene Untersuchungshaft zu gewähren, da eine Entschädigung nicht der Billigkeit entspreche.

Die gemäß § 8 Abs. 3 S.1 StrEG zulässige sofortige Beschwerde des früheren Angeschuldigten richtet sich gegen die in dem Beschluss des Landgerichts Limburg vom 21.März 2000 getroffene Entschädigungsentscheidung.



Die Beschwerde des früheren Angeschuldigten hat in der Sache keinen Erfolg, die Voraussetzungen für die Gewährung einer Entschädigung für die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen gemäß § 3 StrEG liegen nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats gehört auch die Einstellung des Verfahrens nach § 1 53a StPO als Ermessensentscheidung in den Anwendungsbereich des § 3 StrEG (vgl. Senatsbeschluss vom 22. April 1997 - 3 Ws 287/97-); so auch OLG Hamburg MDR 1993, 948, 949; OLG Stuttgart MDR 1991, 978; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. Rn. 1 zu § 3 StrEG). Die endgültige Einstellung des Verfahrens nach Erfüllung der erteilten Auflagen und Weisungen steht zu der vorläufigen Einstellung, die nach dem Ermessen des Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft erfolgt, in einem untrennbaren Sachzusammenhang. Sie ist daher aufgrund der der vorläufigen Einstellung zugrundeliegenden Ermessensausübung auch einheitlich als eine Vorschrift zur Einstellung des Verfahrens, die ,,dies nach dem Ermessen des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft zulässt" zu betrachten.



Eine Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 2 StrEG kann jedoch gemäß § 3 StrEG nur gewährt werden, soweit dies nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht. Die vorläufige Festnahme, die vollzogene Untersuchungshaft und das mit der Außervollzugsetzung des Haftbefehls angeordnete Kontaktverbot zählen zwar zu den in § 2 StrEG genannten Strafverfolgungsmaßnahmen, eine Entschädigung des früheren Angeschuldigten für diese Strafverfolgungsmaßnahmen entspricht jedoch nicht der Billigkeit. Die Entschädigung nach § 3 StrEG hat Ausnahmecharakter, sie ist nur dann zu gewähren, wenn sich der Fall bei einer Gesamtschau auffallend von anderen, gleichgelagerten Sachverhalten abhebt und der VoIlzug der vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahme grob unverhältnismäßig erscheinen muß (LG Flensburg GA 1985, 329, 331; Meyer Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, 4. Aufl. § 3 Rdnr. 39). Die Anordnung der vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen gegen den früheren Angeschuldigten beruhten nach dem damaligen Sachstand auf dem dringenden Verdacht der Abrechnung von nicht entstandenen Mietwagenkosten aus Autounfällen und der Inrechnungstellung von nicht erstattungsfähigen Abhol- und Zustellkilometern gegenüber verschiedenen Kraftfahrzeugversicherungen in einer Vielzahl von Fällen. Eine grobe Unverhältnismäßigkeit des Vollzuges der Maßnahmen liegt auch nach dem Sachstand, der zu der Einstellungsentscheidung des Landgerichts nach § 153a Abs.2 StPO führte, nicht vor. Die Billigkeit einer Entschädigung ergibt sich nicht allein daraus, dass eine Eröffnung des Hauptverfahrens nicht in allen dem früheren Angeschuldigten in der Anklage zu Last gelegten Taten erfolgt wäre. Dies hat erst die Möglichkeit eröffnet nach § 153a StPO zu verfahren, kann aber für sich gesehen ohne andere besondere Umstände wegen des Ausnahmecharakters der Entschädigung bei Verfahrenseinstellungen nach Ermessen noch keine Billigkeit begründen. Grundlage der Einstellung nach § 153a StPO bzw. der sonst erfolgten Eröffnung des Hauptverfahrens war immer noch der Lebenssachverhalt, der auch zu den vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen geführt hat. Das Landgericht hätte, wie sich aus den Akten (Bl. 1473, 1503 Bd. X d.A.) ergibt, gegen den früheren Angeschuldigten sowohl wegen der Abrechnung tatsächlich nicht entstandener Mietwagenkosten als auch bezüglich der Abrechnung nicht erstattungsfähiger Kilometer die Anklage teilweise zugelassen. Zwar hätte sich die Anzahl der vorgeworfenen Fälle reduziert, die Hauptverhandlung wäre aber immer noch wegen des Tatverdachts des Betruges zu Lasten einer Versicherung aufgrund nicht korrekter Mietwagenabrechnungen in mehreren Fällen eröffnet worden. Ein so erhebliches Abweichen des verbleibenden Tatverdachts von dem Tatverdacht, der zu den VerfoIgungsmaßnahmen geführt hat, dass das Versagen einer Entschädigung unbillig erscheinen würde, liegt aber gerade wegen der immer noch gleichen Tatsachengrundlage nicht vor. Dass sich bei komplexen und umfangreichen Sachverhalten eine Reduzierung der Anzahl der Fälle sowohl zum Zeitpunkt der Anklage als zum Zeitpunkt der Eröffnung im Vergleich zum Anfangsverdacht ergibt, ist keineswegs eine auffallende, ungewöhnliche Abweichung gegenüber gleichgelagerten Fällen.



Einen verbleibenden Tatverdacht bei der Entschädigungsfrage zu berücksichtigen stellt auch - entgegen der Beschwerdebegründung - keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung des Art.6 MRK dar (vgl. dazu BVerfG NJW 1992, 2011ff.; Meyer, a.a.O., § 3 Rdnr.4, Schätzler, StrEG, 2.Aufl., § 3 Rdnr.16ff.). Die Unschuldsverrmutung gilt unzweifelhaft auch bei Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO (BVerfG MDR 1991, 891, 892 m.w.N.)und somit auch für den früheren Angeschuldigten. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu Bewerten und dies bei der Versagung einer Entschädigung zu berücksichtigen (BVerfG a.a.O. 1992, 2011). Es handelt sich dabei nicht um eine Tatschuldfeststellung oder -zuweisung, sondern allein um eine zulässige und für die Einstellungsentscheidung notwendige Bewertung einer Verdachtslage (vgl. Meyer, a.a.O., § 3 Rdnr .4) Daraus ergibt sich auch, dass Rechts- folgen wie die Versagung von Entschäidigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, die keinen Strafcharakter haben, an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden können (BVerfG a.a.O., 2011). Der verbleibende Tatverdacht hinsichtlich einiger der dem früheren Angeschuldigten in der Anklage zu Last gelegten Taten, von dem das Landgericht Limburg bei der Einstellungs- und auch der Entschädigungsentscheidung ausgeht, betrifft allein die Frage nach einer möglichen Eröffnung des Hauptverfahrens und nach der Möglichkeit der Überwindung des öffentlichen Interesses , an einer weiteren Strafverfolgung zur Anwendung, des § 153a StPO, eine tatsächliche Schuld oder eine Verteilungswahrscheinlichkeit zu Lasten des rüheren Angeschuldigten wird damit nicht festgestellt.

Nach allem kommt eine Entschädigung aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht.



* Quelle: eigene - Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung genommen - Klage beim EuGH noch nicht entschieden.