StGB §§ 46, 47, 56

© 1997 bis heute / KD Mainlaw - Rechtsanwalt Tronje Döhmer, Grünberger Straße 140 (Geb 606), 35394 Gießen
Tel. 06445-92310-43 oder 0171-6205362 / Fax: 06445-92310-45 / eMail / Impressum
Ä - A - B - C - D - E - F - G - H - I - J - K - L - M - N - Ö - O - P - Q - R - S - T - Ü - U - V - W - X - Y - Z

- Stand: 19. September 2003 - Volltextsuche - Datenschutz - Sicherheit - News and more! - Suchmaschinen - Google (Test 2/2003 - gut - 2,1)

OLG Frankfurt/M. Beschluss vom 04.06.2003 - 2 Ss 148/03 *

... Das angefochtene Urteil wird dahingehend berichtigt, dass der Angeklagte der unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt im Bundesgebiet unter Verstoß gegen 8 Abs.2 Satz 1 Ausländergesetz schuldig ist.

Im Rechtsfolgenausspruch wird das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur. erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Wetzlar zurückverwiesen.

Gründe: Das Amtsgericht Wetzlar hat den Angeklagten mit Urteil vom 7. Februar 2003 wegen unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet und wegen unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Sprungrevision die Verletzung materiellen Rechts.

1. Die Revision ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und ebenso begründet worden. Aufgrund der konkludenten und wirksamen Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch, ist der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen. Klarzustellen ist lediglich, dass die Taten zueinander im Verhältnis der Tateinheit stehen und die Tathandlungen unter Verstoß gegen § 8 Abs.2 Satz 1 Ausländergesetz begangen worden sind.



2. Der Rechtsfolgenausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Insoweit hat die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main in ihrer Stellungnahme vom 14. Mai 2003 ausgeführt:

„Hinsichtlich der Bemessung der Rechtsfolge einer Straftat ist es grundsätzlich zwar Sache des Tatgerichts, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen be- und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht hat sich auf die Prüfung zu beschränken, ob das Urteil über. diejenigen Gründe, die das Tatgericht zur Verhängung der konkreten Strafe bestimmt haben, ausreichend und wahrheitsgemäß Auskunft gibt und ob die Zumessungserwägungen materiellrechtlich fehlerfrei und vollständig sind. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist in der Regel nur möglich, wenn das Tatgericht einen falschen Strafrahmen wählt, die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder die ihm obliegende Pflicht zur Abwägung der für und wider den Täter sprechenden Umstände außerhalb des ihm zugestandenen ‚Spielraums' verletzt .(vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.08.02,. 3 Ss 235/02).

Das Amtsgericht hat es vorliegend verabsäumt, die unter Berücksichtigung der Leitgesichtspunkte des § 46 StGB erfolgten, dem Strafausspruch zugrundeliegenden Strafzumessungserwägungen in einem die Nachprüfung durch das Revisionsgericht ermöglichenden Umfang darzulegen.



Dem Urteil lässt sich bereits nicht entnehmen, welche zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Umstände in die Abwägung konkret einbezogen wurden und insbesondere, welches Gewicht das Gericht ihnen jeweils beigemessen hat. Angesichts des Umstands, dass gegen den bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretenen. Angeklagten sogleich eine mehrmonatige Freiheitsstrafe verhängt wurde, war das Amtsgericht jedoch gehalten, hierauf besondere Sorgfalt zu verwenden. Aus den Urteilsfeststellungen zum Sachverhalt ergibt sich zu Gunsten des Angeklagten, dass er sich in der Hauptverhandlung geständig eingelassen hat und strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten ist. Ferner, dass er seinen eigenen Angaben nach erneut in das Bundesgebiet einreiste, weil seine Ehefrau psychisch erkrankt sei und er sich um die fünf gemeinsamen Kinder kümmern wollte, weil die Ehefrau dazu nicht in der Lage gewesen sei. Schließlich folgt aus den Urteilsgründen, dass der Tatzeitraum des unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet maximal 3 Wochen andauerte und sich der Angeklagte seit dem 21.01.03 in Abschiebehaft befand. Der Revision ist zuzugeben, dass sich das Amtsgericht angesichts der gegen einen Ersttäter verhängten mehrmonatigen Freiheitsstrafe zumindest mit den vorgetragenen Beweggründen für die unerlaubte Wiedereinreise hätte näher auseinander setzen müssen.

Soweit das Amtsgericht jedoch zu Lasten des Angeklagten die ‚Art und Weise seiner Einreise nach. vorausgegangenem negativen Asylverfahren' in die Abwägung einbezogen hat, stellt dies eine unzulässige Verwertung eines Umstands dar, der bereits Merkmal des gesetzlichen Tatbestands ist (§ 46 III StGB). Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen des Vergehens nach § 92 II Nr. 1 a) und b) AuslG verurteilt, das einen gegenüber dem Tatbestand des § 92 I AusIG deutlich erhöhten Strafrahmen aufweist und tatbestandlich die unerlaubte Einreise bzw. den unerlaubten Aufenthalt entgegen § 8 II S. 1 AuslG, mithin den Umstand der früheren Ausweisung bzw. Abschiebung, bereits voraussetzt. Der Umstand der erneuten Einreise ‚nach vorangegangenem, negativen Asylverfahren' durfte daher im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten nicht mehr berücksichtigt werden.



Nicht zureichend und rechtlich zu beanstanden erscheinen auch die Ausführungen des Amtsgerichts zur Erforderlichkeit der erkannten kurzfristigen Freiheitsstrafe von 5 Monaten. Der Revision ist zuzugeben, dass sich das Amtsgericht nicht mit der formelhaften Wiedergabe des gesetzlichen Wortlauts des § 47 StGB hätte begnügen dürfen. Die Ausführungen des Amtsgerichts lassen nicht einmal erkennen, ob es sich überhaupt mit der naheliegenden Möglichkeit der Verhängung einer Geldstrafe befasst hat, denn es fehlt bereits an der Mitteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten. Überdies lässt die Formulierung ‚erschien die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten geboten, deren Vollstreckung nicht nach 5 47 StGB in Geldstrafe gewandelt werden konnte' offen, ob dem Tatgericht überhaupt bewusst war, dass die Freiheitsstrafe unter 6 Monaten nur als ausgesprochene Ausnahme von der Regel Geldstrafe) verhängt werden kann.

Nach 47 I StGB kommt die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten als ‚ultima ratio' nur in Betracht" wenn sie zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist. Ungeachtet dessen, dass die Unerlässlichkeit der Verhängung in erster Linie vom Tatrichter zu beurteilen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht eine zutreffende Auslegung der maßgeblichen Rechtsbegriffe des § 47 I StGB vorgenommen hat (st. Rspr. des OLG Frankfurt am Main; Beschluss vom 14.01.1998 - 3 Ss 316/97 - ; Beschluss vom 15. 05. 1997 - 1 Ss 78/97 -) . Bei einem Ersttäter ist die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe jedoch in der Regel nicht unerlässlich (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30.06.1999 4 Ss 92/99 - ; Beschluss vom 16. 04. 1998 1 Ss 140/98 ; Beschluss vom 12. 01.1998 - 3 Ss 316/97 Wird von dieser Regel ausnahmsweise abgewichen, bedarf dies im Urteil besonderer Begründung, bei der sich das Gericht nicht auf einige für den Angeklagten nachteilige Erwägungen von nicht mehr als durchschnittlicher Bedeutung beschränken darf (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 01.02.1999 - 3 Ss 456/98 - ; Beschluss vom 16.0,4.1998 - 1 Ss 140/98 -). Von einer besonderen Begründung im Urteil kann nur abgesehen werden, wenn sich ansonsten aus dem Inbegriff der Urteilsgründe ergibt, dass unter den gegebenen Umständen jede andere Entscheidung als die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe rechtsfehlerhaft gewesen wäre (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 05.04.2002 - 3,Ss 89/02-; Beschluss vom 01.02.i999 - 3 Ss 456/98 Beschluss vom 12.01.1998 3 Ss 316/97-).

Derartige Umstände, die nach dem Inbegriff der Urteilsgründe die Verhängung der kurzzeitigen Freiheitsstrafe als ‚auf der Hand liegend' erscheinen lassen, teilt das Urteil nicht mit.



Besondere Umstände i.S. des § 47 StGB sind solche, die die konkrete Tat oder die konkrete Täterpersönlichkeit aus dem üblichen Durchschnitt üblicherweise abzuurteilender Fälle herausheben (Tröndle/Eischer, StGB, 51. Aufl., § 47 Rdnr. 6). Hinsichtlich der urteilsgegenständlichen Tat ergibt sich aus den Urteilsgründen jedoch nichts, was zu Lasten des Angeklagten vom Durchschnittsfall des Vergehens nach 92 II Nr. 1 a) und b) AuslG abweicht. Zur Persönlichkeit des Angeklagten teilt das Urteil nur mit, er habe sich in der Hauptverhandlung einerseits geständig eingelassen, andererseits aber uneinsichtig gezeigt. Insoweit handelt es sich um ein eher häufig vorkommendes Einlassungsverhalten eines Angeklagten, das nicht wesentlich vom üblichen Durchschnitt abweicht. Überdies folgt aus den Urteilsgründen, dass der Angeklagte als Tatmotiv die Sorge um seine Kinder genannt hat; ein Umstand, mit dem sich das Tatgericht im Rahmen der besonderen Umstände hätte zudem auseinandersetzen müssen.

Unerlässlich ist die Verhängung der Freiheitsstrafe nach § 47 StGB dann, wenn sie aus spezial präventiven Gründen zur Einwirkung auf den Täter oder aus generalpräventiven Gründen zur Verteidigung der Rechtsordnung unbedingt geboten ist. Weshalb die Freiheitsstrafe vorliegend zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich sein soll, ist in den Urteilsgründen nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Auch hat es das Tatgericht unterlassen darzulegen, warum im konkreten Fall jedes andere Reaktionsmittel die erforderliche Spezialprävention nicht gewährleisten würde. Angesichts dessen, dass der Angeklagte bislang noch nicht verurteilt wurde, hätte das Tatgericht daher für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen müssen, weshalb er mit einer Geldstrafe nicht gleichermaßen zu beeindrucken ist.

Der Rechtsfolgenausspruch hält schließlich auch hinsichtlich der Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Grundsätzlich obliegt die Entscheidung der Frage, ob eine Strafe zur Bewährung auszusetzen ist, dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (vgl. BGHSt 6, 391, S. 392; 24, 3, S. 5; NStZ 1982, 114; OLG Düsseldorf, NStZ 1988, 325A1 S. 326). Seine Entscheidung ist vom Revisionsgericht nur auf, Rechtsfehler dahingehend zu überprüfen, ob Rechtsbegriffe verkannt sind oder Ermessensfehler vorliegen. Die Überprüfbarkeit durch das Revisionsgericht setzt allerdings voraus, dass der Tatrichter in seinem Urteil gemäß § 267 III 4 StPO unter Abwägung aller Umstände ausführt, weshalb er die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder entgegen entsprechendem Antrag nicht ausgesetzt hat (vgl. BGH., StV 1981, 70; NStZ 1983, 218; Tröndle/Fischer, 51. Aufl., § 56 Rdnr. 23).



Zur Frage, ob die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann oder nicht, verhalten sich die knappen amtsgerichtlichen Feststellungen jedoch unzureichend. Aus den Urteilsgründen ergibt sich insoweit nur, dass das Gesamtverhalten, insbesondere das uneinsichtige Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung eher dafür spreche, dass er sich erneut aus wirtschaftlichen Gründen letztendlich illegalen Aufenthalt in der Bundesrepublik verschaffen werde. In welcher Weise das uneinsichtige Verhalten in der Hauptverhandlung zu Tage getreten ist und welche weiteren Umstände das Gesamtverhalten des Angeklagten geprägt haben, ergibt sich aus den Feststellungen allerdings nicht, so dass eine revisionsgerichtliche Nachprüfung an der Stelle unmöglich. ist. Auf welche Feststellungen das Amtsgericht die Motivation des Angeklagten, nämlich aus wirtschaftlichen Gründen in das Bundesgebiet eingereist zu sein, gründet, ist zudem nicht ersichtlich und im Hinblick auf die im Urteil mitgeteilten, vom Angeklagten behaupteten Beweggründe, nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Bei der Gesamtabwägung zur-angestellten Sozialprognose verlangt die Rechtsprechung aber eine Ge samtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit, bei der auch nicht unberücksichtigt bleiben darf, dass der Angeklagte nicht vorbestraft war (vgl. StV 1986, 293; Tröndle/Fischer, StGB, 51.,Aufl., § 56 Rdnr. 23). Zwar ist eine erschöpfende Darstellung aller innerhalb der Gesamtabwägung maßgeblichen Faktoren nicht notwendig; jedoch dürfen solche Umstände nicht außen vor gelassen werden, die dem Gesamtgeschehen das Gepräge gegeben haben (StV 1994, 126). In dem Zusammenhang mag die vom Tatgericht festgestellte fehlende Unrechtseinsicht ebenso wie der ungünstige Eindruck in der Hauptverhandlung eine durchaus maßgebliche Rolle im Rahmen der Gesamtabwägung einnehmen. Allerdings kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass das Tatgericht rechtsfehlerhaft aus dem Umstand, dass es die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe für unerlässlich erachtet hat, unmittelbar auf eine ungünstige Sozialprognose geschlossen hat. Die Urteilsfeststellungen enthalten nämlich - insoweit lückenhaft - keine Ausführungen dazu, weshalb der Angeklagte als Ersttäter nicht bereits durch die Verurteilung an sich zu beeindrucken sein soll."

Diesen Ausführungen schießt sich der Senat an. Der Rechtsfolgenausspruch kann daher keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 354 Abs.2~StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Wetzlar zurückzuverweisen.



* Quelle: eigene