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Döhmer - Die Fiktionen des § 5a VVG

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Stand: 15. Oktober 2003

OLG Düsseldorf, Urt. u 5.12.2000 - 4 U 32/00 (NVersZ 2001, 156 ff)
Anmerkung zu dieser Entscheidung

OLG Düsseldorf, Urt. u 5.12.2000 - 4 U 32/00 (NVersZ 2001, 156 ff)

Zum Sachverhalt: Der Kl. begehrt von der Bekl. die Rückzahlung von Lebensversicherungsprämien. Am 16.5.1995 unterzeichnete er einen Antrag auf Versicherung seines Lebens bei der Bekl. mit einer Versicherungssumme von 150.000 DM. In einem weiteren, ebenfalls am 16.5. 1995 unterschriebenen Formular ist als zu versichernde Person die Ehefrau des Kl. eingetragen. Eingangs des Formulars heißt es: "Erklärung der zweiten zu versichernden Person bei Antrag auf Versicherung für zwei verbundene Leben." Unter dem 13.6.1995 stellte die Bekl. den Versicherungsschein aus. Bereits vorher, nämlich am 19.5. 1995, hatte der Kl. die erste Jahresprämie von 8.321,09 DM gezahlt. Das LG hat die Klage auf Rückzahlung der Prämien in Hühe von 18673,99 DM, die der Kl. mit der Behauptung, es sei kein rechtswirksamer Vertrag zu Stande gekommen, begehrt, abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Das LG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da dem Kl. unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegen die Bekl. Ansprüche auf Rückzahlung der bereits geleisteten Versicherungsprämien zustehen.

1. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kl. auf Grund der Abtretung seiner Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die B-Bank auch seine Befugnis zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen einer Unwirksamkeit des Vertrags verloren hatte; denn selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte er diese Befugnis mit der Rückabtretung vom 16.3.2000 zurückgewonnen. Hiergegen kann die Bekl. nicht erfolgreich ins Feld führen, bei dem Schreiben der B-Bank handele es sich nicht um einen Rückabtretungsvertrag. Das Schreiben stellt nämlich jedenfalls ein Angebot der B-Bank auf Rückabtretung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag dar, das der Kl. spätestens durch Klageerhebung angenommen hätte. Damit wäre die Annahme des Rückabtretungsangebots zwar nicht gegenüber der B-Bank erklärt worden, dies war jedoch gem. § 151 BGB nicht notwendig. Nach dieser Vorschrift ist die Erklärung der Annahme gegenüber dem Antragenden (hier: der B-Bank) nicht notwendig, Rechtsprechung wenn sie nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf die Annahme verzichtet hat. Letzteres ist konkludent dadurch geschehen, dass die B-Bank dem Kl. mit dem Schreiben vom 16.3.2000 die Versicherungspolice übersandt hat.

2. Ein Anspruch des Kl. auf Rückforderung der geleisteten Versicherungsprämien kommt allenfalls nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§ 812 BGB) in Betracht. Ein solcher Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, weil ein Lebensversicherungsvertrag zwischen den Parteien wirksam zu Stande gekommen ist und noch fortbesteht.

a) Der Kl. hat unter dem 16.5.1995 schriftlich eine Versicherung auf sein Leben und das Leben seiner Frau bei der Bekl. beantragt. Diesen Antrag (vgl. Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 5 a Rdnr. 9) hat die Bekl. mit Übersendung des Versicherungsscheins vom 13.6.1995 angenommen. Zu diesem Zeitpunkt war der Antrag des Kl. noch nicht erloschen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kl. innerhalb der Fristen, die im Versicherungsantrag genannt sind, an seinen Antrag gebunden war, oder ob die dort vorgesehene Antragsbindung unwirksam war. Wenn Letzteres der Fall wäre, dann würden die allgemeinen Vorschriften über die Annahme von Willenserklärungen unter Abwesenden gelten.

Nach § 147 II BGB kann ein Antrag nur solange angenommen werden, wie der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten kann. Hiernach wäre die Annahmeerklärung der Bekl. rechtzeitig erfolgt: Die Annahme eines Lehensversicherungsantrags hängt insbesondere von der Überprüfung des zu versichernden Risikos ab, für das eine Vielzahl von Faktoren, u. a. die Gesundheit des Versicherten, bedeutsam ist. Dem Versicherer muss deshalb ausreichend Zeit bleiben, das Risiko etwa durch Rückfragen bei den Ärzten des Versicherten abzuklären. Angesichts dessen kann ein Versicherungsnehmer nicht erwarten, dass sein Antrag innerhalb weniger Tage angenommen wird; der von der Bekl. benötigte Zeitraum von ca. vier Wochen erscheint vielmehr als angemessen.

b) Allerdings ist der Versicherungsvertrag nicht schon mit Übersendung des Versicherungsscheins endgültig zu Stande gekommen, sondern erst im Mai 1996 mit Ablauf der Widerspruchsfrist des § 5 a II 4 VVG. § 5 a VVG bestimmt i. V. mit § 10 a VAG, dass dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen und bestimmte Verbraucherinformationen zu übergeben sind. Die Erfüllung dieser Pflicht hat der Versicherer zu beweisen (§ 5 a II 2 VVG). Ob und in welchem Umfang die Bekl. dieser Pflicht in Bezug auf den Lebensversicherungsvertrag mit dem Kl. genügt hat, ist zwischen den Parteien streitig: Der Kl. leugnet den Erhalt jeglicher Verbraucherinformation. Die Bekl. hingegen behauptet die Übergabe der Unterlagen, ohne hierfür ein Datum anzugeben. Abgesehen davon hat sie ihren Vortrag nicht unter Beweis gestellt. Deshalb ist zu ihren Lasten davon auszugehen, dass der Kl. - mit Ausnahme der Versicherungsbedingungen - keinerlei Unterlagen von der Bekl. zur Verfügung gestellt bekommen hat.

Die Folgen dieses Unterlassens ergeben sich aus § 5 a VVG. Nach Abs. 1 5.1 dieser Vorschrift gilt der Vertrag auf Grund einer gesetzlichen Fiktion erst dann als geschlossen, wenn dem Versicherungsnehmer die erforderlichen Unterlagen überlassen wurden und er nicht binnen einer Frist von vierzehn Tagen nach Überlassung dem Vertragsschluss widerspricht; bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist ist der Versicherungsvertrag schwebend unwirksam (vgl. Römer/Langheid, VVG, § 5 a Rdnr. 25; Lorenz, VersR 1995, 620). Da von der Überlassung der notwendigen Verbraucherinformationen nicht auszugehen ist, begann die zweiwöchige Widerspruchsfrist nicht zu laufen, so dass der Vertrag zunächst Rechtsprechung schwebend unwirksam war. Dennoch ist der Lebensversicherungsvertrag der Parteien nicht endgültig unwirksam geworden. Nach § 5 a II 4 VVG erlischt nämlich das Recht zum Widerspruch spätestens und unabhängig von der Überlassung der notwendigen Unterlagen ein Jahr nach Zahlung der Prämie. Damit endet der Zustand der schwebenden Unwirksamkeit rückwirkend (Prölss/Martin, § 5 a Rdnr. 56). Vorliegend hat der Kl. die erste Jahresprämie bereits einige Tage nach dem Versicherungsantrag, nämlich noch im Mai 1995 gezahlt; spätestens mit Ablauf des Monats Mai 1996 hat er sein Widerspruchsrecht verloren und der Versicherungsvertrag ist endgültig wirksam geworden.

C) Der Vertrag ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam oder aufgehoben.

aa) Zunächst kann sich der Kl. nicht erfolgreich auf eine Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB berufen, weil ihm sämtliche gesetzlich vorgesehenen Verbraucherinformationen vorenthalten worden seien. Die Folgen dieses Vorenthaltens sind nämlich in § 5 a VVG abschließend geregelt worden.

bb) Weiterhin steht dem Kl. gegen die Bekl. kein Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen des Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) wegen der Verletzung ihrer Verpflichtung zur Überlassung der Verbraucherinformationen zu. Zwar ist ein solcher Anspruch nicht grundsätzlich ausgeschlossen; eine Beseitigung des Vertrags im Wege des Schadensersatzes ist aber nicht möglich (vgl. Prölss/Martin, § 5 a Rdnr. 73). Auch hier gilt wiederum, dass der Gesetzgeber mit § 5 a VVG die Folgen einer solchen Pflichtverletzung abschließend geregelt hat, soweit es den Bestand des Vertrags betrifft, und deshalb die subsidiäre Haftung aus culpa in contrahendo nicht eingreifen kann.

In der Literatur wird allerdings teilweise (vgl. Dörner/Hoffmann, NJW 1996, 159 [160]) ohne nähere Begründung eine Rückgängigmachung des Vertrags im Wege des Schadensersatzes angenommen. Der Anspruch soll nach Treu und Glauben aber nur zeitlich begrenzt geltend gemacht werden können, da der Versicherungsnehmer ansonsten die Wahl hätte, sich nach Wegfall des Sicherungsbedürfnisses auf culpa in contrahendo zu berufen und die Rückzahlung der geleisteten Prämien zu verlangen oder aber nach Eintritt eines Schadensfalls die Versicherungsleistung in Anspruch zu nehmen. Diese zeitliche Begrenzung des Schadensersatzes nach Treu und Glauben hat seine gesetzliche Ausprägung in § 5 a II 4 VVG gefunden. Dort ist festgelegt, dass sich der Versicherungsnehmer längstens ein Jahr nach Zahlung der Prämie auf die Nichtüberlassung der Verbraucherinformationen soll stützen können. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist auch im Rahmen der Anwendung der Grundsätze der culpa in contrahendo zu beachten.

cc) Schließlich ist der Versicherungsvertrag nicht wegen Verstoßes gegen § 159 II VVG ungültig, da die Ehefrau des Kl. - wie es die Vorschrift fordert - der Versicherung ihres Lebens am 16.5.1995 zugestimmt hat. Soweit der Kl. bestritten hat, die Unterschrift stamme von seiner Ehefrau, ist dieses Bestreiten ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt und damit unbeachtlich.

Aus dem von der Ehefrau des Bekl. unterzeichneten Formular ergibt sich auch ohne Kenntnis des eigentlichen Versicherungsantrags unzweideutig, dass die Zustimmung zu einer Lebensversicherung erklärt wird. Einmal ist nämlich in dem Formular die Ehefrau des Kl., die Fragen zu ihrem Gesundheitszustand beantwortet hat, als zu versichernde Person bezeichnet; zum anderen ist im Eingang des Formulars ausdrücklich die Rede von einem Antrag auf Versicherung für zwei verbundene Leben. Abgesehen davon hat der Kl. den Vortrag der Berufungserwiderung unangegriffen gelassen, wonach seine Ehefrau das Formular bei derselben Gelegenheit unterschrieben hat, bei der auch der Versicherungsantrag ausgefüllt und unterschrieben wurde. Allein aus diesem Zusammenhang musste ihr klar sein, dass sie mit ihrer Unterschrift und den Angaben zu ihrer Person einer Versicherung ihres Lebens zustimmen würde.

3. § 5 a VVG verstößt nicht europäisches Recht.

a) Die Ansicht des Kl., die auch teilweise in der Literatur vertreten wird (vgl. Nachw. bei Lorenz, VersR 1997, 774 Fußn. 8), § 5 a VVG sei europarechtswidrig, ist schon im Ansatz verfehlt (so i. Erg. auch Prölss/Martin, § 5 a Rdnr. 8; Schimikowski, r + s 2000, 355). Nach Art. 31 der 3. Richtlinie Lebensversicherung (Richtlinie 92/96/EWG) bzw. Art. 31 und 43 der 3. Richtlinie Schadensversicherung (Richtlinie 92/49/EWG) hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrags bestimmte Verbraucherinformationen zukommen zu lassen. Diese Verpflichtung ist aber in § 10 a VAG nahezu wortgleich umgesetzt, wenn es dort in Abs. 1 heißt: "Die Versicherungsunternehmen haben zu gewährleisten, dass der Versicherungsnehmer, wenn er eine natürliche Person ist, in einer Verbraucherinformation über die für das Versicherungsverhältnis maßgeblichen Tatsachen und Rechte vor Abschluss und während der Laufzeit des Vertrags nach Maßgabe der Anl. Teil D unterrichtet wird." Die in der Anl. D erwähnten Informationen gehen über die nach den Richtlinien geforderten noch hinaus.

§ 10 a VAG regelt allerdings nicht, wann ein Versicherungsvertrag abgeschlossen ist und welchen Vertragsinhalt er hat. Dies richtet sich nach den allgemeinen privatrechtlichen Grundsätzen sowie nach den spezialgesetzlichen Regelungen in §§ 5 und 5 a VVG, wobei allerdings nur letztere Vorschrift in Ergänzung des § 10 a VAG und in Umsetzung der europäischen Richtlinien vom Bundesgesetzgeber geschaffen wurde.

Auch § 5 a VVG ist entgegen der Ansicht des Kl. und vereinzelter Literaturmeinungen nicht wegen Verstoßes gegen die genannte Richtlinie europarechtswidrig. Zwar ermöglicht § 5 a VVG es dem Versicherer, dem Versicherungsnehmer erst mit Übersendung der Versicherungspolice oder noch später die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen zukommen zu lassen. Das besagt aber nichts über die Umsetzung der Richtlinien. § 5a VVG erhebt nämlich eine derartige Praxis der Versicherer (das sog. Policenmodell) gerade nicht zum Regel- oder Normalfall; aus dem Wortlaut des § 5 a I 1 VVG ("Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Vertragsbedingungen nicht übergeben...") lässt sich vielmehr entnehmen dass der Gesetzgeber davon ausgeht, die Informationen nach § 10 a VAG würden vor oder spätestens bei Antragstellung übergeben.

Der Gesetzgeber musste allerdings Vorsorge für den Fall treffen, dass der Versicherer seinen Informationspflichten nach § 10 a VAG nicht nachkommt. Dies hätte einmal dadurch geschehen können, dass vor Übergabe der Verbraucherinformationen ein Vertragsschluss verneint wird. Konsequenz wäre allerdings, dass Versicherungsnehmer in einer Vielzahl von Fällen, in denen das Fehlen der Unterlagen zunächst nicht auffällt, ohne Versicherungsschutz blieben und sich im Versicherungsfall allenfalls auf Schadensersatzansprüche berufen könnten. Ein solches Risiko für die Versicherungsnehmer läge nicht im Sinne der genannten Richtlinien, die die Stellung des Verbrauchers stärken wollen, indem ihm notwendige Informationen über den Vertragsinhalt an die Hand gegeben werden und er so in die Lage versetzt wird, die angebotenen Versicherungsprodukte miteinander vergleichen zu können (vgl. Erwägungsgrund 23 zur 3. Richtlinie Lebensversicherung; Lorenz, VersR 1995, 625). Dementsprechend hat sich der Bundesgesetzgeber, um den Konflikt zwischen Erfüllung der Informationspflicht durch den Versicherer und Rechtssicherheit für den Versicherungsnehmer zu lösen, dafür entschieden, diesem zeitlich begrenzt die Möglichkeit zu geben, sich von dem Vertrag zu lösen.

Die vom Gesetzgeber gewählte rechtliche Konstruktion ließe sich im Übrigen selbst dann zwanglos mit den Richtlinien vereinbaren und als von diesen gedeckt ansehen, wenn der Gesetzgeber das in § 5 a VVG sanktionierte Policenmodell als Regelfall angesehen hätte. Wenn der Versicherungsvertrag beim Policenmodell erst mit Ablauf der Widerspruchsfrist wirksam zu Stande kommt, weil dem Versicherungsnehmer die erforderlichen Unterlagen nicht schon bei Stellung des Versicherungsantrags übergeben wurden, dann ist der Vertrag nämlich - wie ausgeführt - bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist schwebend unwirksam und dem Versicherungsnehmer bleibt bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist Zeit, die Vertragsbedingungen und die zusätzlichen Unterlagen - ggf. im Vergleich zu den Bedingungen anderer Versicherer zu überprüfen. Das Ziel der europäischen Richtlinien wird damit erreicht. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass dem Versicherungsnehmer mit der Ausübung des Widerrufsrechtes ein aktives Tun abverlangt wird, das mancher Versicherungsnehmer möglicherweise aus Trägheit oder Unsicherheit nicht wahrnimmt. Diesem Umstand kann aber keine besondere Bedeutung zukommen, weil der Versicherungsnehmer schon durch seinen Antrag zum Ausdruck gebracht hat, dass er - vorbehaltlich des Widerrufs - eine Bindung will, bevor er seine Informationsmöglichkeiten ausgeschöpft hat. Ihm wäre es unbenommen, einen Versicherungsantrag nicht zu unterschreiben, bevor er über die Informationen verfügt. Abgesehen davon geben die europäischen Richtlinien in keiner Weise vor, in welcher Form die nationalen Gesetzgeber sie umzusetzen haben; die Art der Umsetzung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Richtlinien noch aus dem Ratsprotokoll zu Art. 31 der 3. Richtlinie Lebensversicherung (zit. bei Lorenz, VersR 1995, 625).

In den Fällen des § 5 a II 4 VVG kommt es allerdings überhaupt nicht zu einer Erfüllung der Informationspflichten durch den Versicherer, dennoch erlischt das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie. Auch diese Regelung verstößt als Ausnahmevorschrift nicht gegen die europäischen Richtlinien. Der Bundesgesetzgeber musste nämlich zum Schutz der Versicherungsnehmer eine Regelung für die Fälle treffen, in denen die notwendigen Verbraucherinformationen nicht oder nicht beweisbar übergehen wurden. Ein vorsätzliches Unterlassen seitens der Versicherer dürfte in der Regel ausscheiden, da sie grundsätzlich daran interessiert sind, nach einer gewissen Zeit Klarheit über den Vertragsbestand zu haben. In den Fällen der vergessenen oder nicht beweisbaren Übergabe der Unterlagen gibt es irgendwann einen Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsnehmer sein Informationsbedürfnis offenbar verloren hat, weil er die Prämien beglichen hat und danach auf seinen vertraglichen Versicherungsschutz vertraut. Diese Frist hat der Bundesgesetzgeber mit einem Jahr großzügig bemessen. Nach Ablauf dieser Zeit ist der Schutz, den die europäischen Richtlinien vorsehen, nicht mehr notwendig.

Soweit der Kl. sich auf ein Schreiben der Generaldirektion der Europäischen Kommission stützt, in dem es heißt, der Versicherungsnehmer sei zu informieren, bevor er eine Verpflichtung eingehe und das selbst dann, wenn der Vertrag nach § 5 a VVG nur schwebend wirksam sei, so verkennt dies - abgesehen von den obigen Ausführungen zur Umsetzung der Richtlinien -, dass der Versicherungsvertrag gerade nicht schwebend wirksam, sondern schwebend unwirksam ist (vgl. Lorenz, VersR 1997, 773).

b) Nach den obigen Ausführungen steht § 5 a VVG in Übereinstimmung mit den europäischen Richtlinien. Bedarf an einer Auslegung der Richtlinien durch den EuGH im Wege des Vorlageverfahrens besteht nicht.

Eine fehlerhafte Umsetzung der Richtlinien wäre im übrigen allein durch den Bundesgesetzgeber zu korrigieren. Das wäre nur anders, wenn sich aus europäischen Vorschriften Rechtssätze ergäben, die unmittelbar auf den vorliegenden Fall anzuwenden wären und in Widerspruch zu § 5 a VVG stünden. § 5 a VVG würde dann durch das Europarecht verdrängt, das bei einer Kollision beider Rechtsordnungen vorgeht (vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der Europäischen Union, Rdnr. 938). Solche unmittelbar anwendbaren europäischen Vorschriften sind jedoch nicht ersichtlich. Sie können nicht nur in EG-Verordnungen, sondern Rechtsprechung auch in EG-Richtlinien enthalten sein, müssen in diesem Falle aber so ausgestaltet sein, dass sie ohne weiteren Ausführungsakt Grundalge einer richterlichen Entscheidung sein können (vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann, Rdnr. 939; BVerfG, NJW 1988, 1460). Das ist bei Art. 31 der 3. Richtlinie Lebensversicherung und bei Art. 31 und 43 der 3. Richtlinie Schadensversicherung nicht der Fall. Diese Vorschriften besagen nur, dass dem Verbraucher vor Abschluss des Vertrags bestimmte Informationen zu erteilen sind, sie besagen aber nichts darüber, welche Folgen eine Unterlassung dieser Verpflichtung hat.



Anmerkung

Mit dieser Entscheidung hat der 4. Senat des OLG Düsseldorf genau ins Schwarze getroffen. Der Versuch, eine Übereinstimmung des § 5a VVG mit den einschlägigen Richtlinien zu konstruieren, kann als gescheitert angesehen werden. Der vom OLG Düsseldorf entschiedene Fall belegt geradezu, dass entgegen dem geltenden EU-Recht ein Versicherungsvertrag zustandekommen kann, auch wenn der Versicherer dem Verbraucher die vorgeschriebenen Informationen nicht zukommen läßt. Der Versicherer wird in diesem Fall auch noch dafür belohnt, dass er die zu unrecht erhaltenen Versicherungsprämien behalten darf. Das ist keinesfalls im Sinne des Richtliniengebers.

Soweit das OLG meint, dass Versicherungsnehmer in einer Vielzahl von Fällen, in denen das Fehlen der Unterlagen zunächst nicht aufgefallen sei, ohne Versicherungsschutz blieben und sich im Versicherungsfall allenfalls auf Schadensersatzansprüche berufen könnten, trägt dieser Gesichtpunkt das gefundene Ergebnis nicht. Innerstaatliches Recht ist richtlinienkonform auszulegen. Dazu gehört, den Verbraucher so stellen, wie er stehen würde, wenn der Versicherer seinen Verpflichtungen nachgekommen wäre. Der Verbraucher darf in einem solchen eben nicht leer ausgehen. Ebensowenig darf die Durchsetzung seiner Ansprüche im Schadenfall erschwert werden. Wenn sich der Versicherer nicht gesetzes- und richtlinienkonform verhält, rechtfertigen auch zeitliche Gesichtspunkte es nicht, den Verbraucher alt aussehen zu lassen.

Das OLG Düsseldorf hat seine Vorlagepflicht verletzt. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob das nationale Recht mit dem geltenden EU-Recht übereinstimmt. Die Vereinbarkeit mit europäischem Recht war auch entscheidungserheblich.