OLG Hamm, Urteil, 13.05.2003 - 28 U 150/02, BGB, 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II, 434, Gebrauchwagenkauf, Importfahrzeug, Gewaehrleistung, Plichtverletzung, Sachmangel, culpa in contrahendo, Aufklaerung, Marktwert, free, Giessen, Wetzlar, Marburg, Limburg, Frankfurt, Berlin, Hamburg, Muenchen, Koeln, Leverkusen, Bochum, Dortmund, Essen, Dresden, Leipzig, Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Daenemark, Irland, Grossbritannien, Nordirland, Griechenland, Portugal, Spanien, Finnland, Oesterreich, Schweden
BGB §§ 280 I, 311 II Nr. 1 i. V. mit §§ 241 II, 434

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OLG Hamm, Urteil vom 13.05.2003 - 28 U 150/02 *

Tatbestand: Der Kl. begehrt die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen am 7. 3. 2002 bei der Bekl. bestellten Renault Espace Diesel zu einem Kaufpreis von 7700 Eure. Das Fahrzeug wurde erstmals in Deutschland am 18. 7. 1995 zugelassen und wies zum Zeitpunkt des Verkaufs eine Laufleistung von ca. 197000 km auf. Zum vereinbarten Liefertermin vom 21. 3. 2002 war das Fahrzeug mängelbehaftet. Nach Beseitigung der gerügten Mängel, insbesondere an der Kupplung, wurde das Fahrzeug dem Kl. am 5. 4. 2002 übergeben. Der Kaufpreis wurde beglichen. Erst bei Übergabe des Fahrzeugs stellte der Kl. durch Einsichtnahme in den Fahrzeugbrief fest, dass das Fahrzeug aus Italien als Importfahrzeug eingeführt worden war und in den Fahrzeugpapieren "Matra" als Hersteller angegeben war. Über beide Umstände hatte die Bekl. den Kl. bei Abschluss des Kaufvertrags nicht informiert. Aus einem Schreiben der Deutsche Renault AG vom 22. 5. 2002 geht hervor, dass das Fahrzeug nicht für den deutschen Markt produziert wurde. Zudem musste der Kl. bei Übergabe feststellen, dass weitere Mängel am Fahrzeug vorhanden waren. Die Mängel wurden mit Schreiben vom 10. 4. 2002 gerügt und zugleich der Rücktritt mit der Begründung erklärt, es sei verschwiegen worden, dass es sich um ein Importfahrzeug handele.

Das LG hat der Klage stattgegeben. In der Eigenschaft des Kfz als Importfahrzeug hat es wegen der damit verbundenen Nachteile und des geringen Marktwertes einen Sachmangel gesehen, der den Kl. zum Rücktritt vom Vertrag berechtige. Die hiergegen eingelegte Berufung der Bekl. hatte im Ergebnis keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe: Der Kl. kann von der Bekl. der Rückabwicklung des Kaufvertrags wegen Verschuldens beim Vertragsschluss gem. §§ 280 I, 311 II Nr. 1 i. V. mit § 241 II BGB verlangen, weil sie ihm verschwiegen hat, dass es sich bei dem Renault Espace um einen Einzelimport aus Italien handelt und dies in dem Fahrzeugbrief dokumentiert ist.



1. Die Rückabwicklung des zwischen den Parteien geschlossenen Verbrauchsgüterkaufvertrags i. S. von § 474 1 S. 1 BGB erfolgt vorliegend nicht über das Gewährleistungsrecht nach §§ 437 Nr. 2, 433, 323, 326 V, 346 1 BGB. Für die Anwendung dieser Vorschriften wäre das Vorliegen eines Sachmangels i. S. von § 434 BGB erforderlich. Dazu fehlt allerdings schlüssiger Sachvortrag des Kl.

a) Ein Sachmangel i. S. des § 434 BGB setzt voraus, dass es sich bei dem Umstand des Imports des Pkw aus Italien um eine Beschaffenheit des Kaufgegenstandes handelt. Die Beschaffenheit ist mit dem tatsächlichen Zustand der Sache gleichzusetzen. Unter den Begriff der Beschaffenheit fällt jede Eigenschaft und jeder der Sache anhaftende tatsächliche wirtschaftliche oder rechtliche Umstand (Palandt/Putzo, BGB,. Ergänzungsband z. 61. Aufl., § 434 Rdnrn. 10 ff., 14). Die Eigenschaft/der Umstand muss in der Beschaffenheit der Kaufsache wurzeln und ihr unmittelbar (physisch) auf eine gewisse Dauer anhaften (vgl. Palandt/Putzo, § 434 Rdnr. 11; Reinking/Eggert, Das Autokauf, 8. Aufl., Rdnr. 179; Reinking, DAR 2002, 15 [16]; st. Rspr. des BGH zum vor dem 1. 1. 2002 geltenden Recht, z. B. NJW 1992, 2564 in. w. Nachw.). Zwar hat der Gesetzgeber den Begriff der Beschaffenheit nicht definiert und offen gelassen, ob die vorgenannte Unmittelbarkeitsbeziehung gegeben sein muss (vgl. BT-Dr. 14/6040, S. 213; Palandt/Putzo, § 434 Rdnr. 9; Reinking/Eggert, Rdnrn. 1062, 1217; Schmidt-Räntsch, Die neue SchuldR, Rdnr. 711; Häublein, NJW 2003, 388 [389]). Da allerdings die Neuregelung des Sachmangelbegriffs den nach alter Rechtslage geltenden Fehlerbegriff nicht verändern wollte und die Neuregelung dem subjektiv-objektiven Fehlerbegriff folgt, ist auch weiterhin der, Beschaffenheitsbegriff restriktiv im vorgenannten Sinne aufzufassen (ebenso Reinking, Rdnrn. 1062, 1217; Palandt/Putzo, § 434 Rdnr. 9).



b) Auf die Beschaffenheit der Kaufsache wirkt es sich in dem oben gesagten Sinne nicht unmittelbar aus, ob die erste Auslieferung innerhalb des nationalen Händlernetzes oder über das Ausland erfolgt ist. Der Umstand des Imports des Pkw ist daher allein keine ihm anhaftende Beschaffenheit, also kein Sachmangel i. S. von § 434 BGB (ebenso Reinkingl Egger, Rdnr. 1767).

Auch die vom Kl. behaupteten Umstände, mit dem Import zusammenhängende Nichterfassung des Fahrzeugs bei Rückrufaktionen, eine Wertminderung wegen einer Offenbarungspflicht bei Weiterveräußerung und eine Verweigerung der Reparaturen durch Vertragswerkstätten begründen keinen Sachmangel. Diese Umstände werden nämlich daraus hergeleitet, dass es sich um ein Importfahrzeug handelt. Da aber diese Tatsache gerade keine Beschaffenheit der Kaufsache darstellt, gilt dies ebenfalls für die von dem Kl. behaupteten Konsequenzen.

Ein Unterschied des Renault Espace gegenüber Fahrzeugen mit der in Deutschland üblichen Serienausstattung beträfe demgegenüber zwar eine unmittelbare Beschaffenheit, so dass eine Abweichung einen Sachmangel i. S. von § 434 BGB begründen könnte. Allerdings fehlt zu einer derartigen Abweichung schlüssiger Sachvortrag des Kl. Er hat keinerlei Ausstattungsmerkmale genannt, die von denen der in oder für Deutschland hergestellten Fahrzeugen abweichen und eine Minder-/Magerausstattung darstellen sollen (vgl. dazu Reinking/Eggert, Rdnrn. 447, 449, 1694). Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der von dem Kl. erworbene Renault Espace in seiner Ausstattung von den nach der Straßenverkehrszulassungsordnung in der BRD erforderlichen Standards abweicht (s. dazu Reinking/Eggert, Rdnr. 447 a. E.). Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig und aus dem Fahrzeugbrief ersichtlich, dass er die Betriebserlaubnis für Deutschland 1995 erhalten und seitdem hier für unterschiedliebe Halter zugelassen worden ist.

2. Da es nach vorstehenden Ausführungen hier nicht um Merkmale des Fahrzeugs geht, die einer Beschaffenheitsvereinbarung zugänglich sind, kann sich der Anspruch nur aus Verschulden der Bekl. beim Vertragsschluss gem. §§ 280 I, 311 II Nr. 1 i. V. mit § 241 II BGB ergeben (vgl. Reinking/Eggert, Rdnrn. 1766, 1771; Palandt/Heinrichs, § 311 Rdnr. 17; Palandt/Putzo, § 437 Rdnr. 51; Häublein, NJW 2003, 388 [389]). Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor, so dass der Kl. zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt war.



a) Die Bekl. hat schuldhaft, zumindest fahrlässig, ihre Pflichten beim Abschluss des Kaufvertrags über den Renault Espace verletzt. Die Bekl. wäre verpflichtet gewesen, den Kl. darüber aufzuklären, dass es sich bei dem Renault Espace um einen Einzelimport aus Italien handelt und dieser Einzelimport im Fahrzeugbrief vermerkt ist. Insoweit hat der dem Senat als besonders erfahren und sachkundig langjährig bekannte Sachverständige Dipl.-Ing. U in seinem mündlichen Gutachten nach Besichtigung des Fahrzeuges ausgeführt, dass dieser Umstand bei einer Weiterveräußerung des Pkw zu einem deutlich niedrigeren Marktpreis führt. Der Sachverständige hat insoweit zu den Marktgegebenheiten für das Jahr 2002, dem Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kl. überzeugend erläutert, ein potenzieller Erwerber wäre wegen der in dem Fahrzeugbrief dokumentierten Importeigenschaft aus dem Jahre 1995 misstrauisch gegen das Fahrzeug gewesen. Dieses Misstrauen beruhte noch auf Vorstellungen aus füherer Zeit und galt bis zum Jahre 2002 fort. Erst für die Zeit danach hat sich nach und nach das Marktverhalten im Hinblick auf Importfahrzeuge geändert. Dieses Misstrauen gegen das Importfahrzeug schlägt sich in seinem Marktwert nieder. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, der selbst eine DAT-Schätzungsstelle betreibt und dem die Marktgegebenheiten genauestens bekannt sind, bedingte der im Fahrzeugbrief deutlich und dauerhaft manifestierte Umstand des Imports des Renault Espace aus Italien - auch unter Berücksichtigung seines Alters einen fortdauernd um 10% niedrigeren Marktpreis gegenüber dem vom Kl. bezahlten Kaufpreis. Der von dem Kl. an die Bekl. gezahlte Kaufpreis von 7700 Euro wäre nach den Ausführungen des Sachverständigen für ein nicht einzeln importiertes Fahrzeug marktgerecht gewesen. Für den erheblich niedrigeren tatsächlichen Marktpreis ist es dabei unerheblich, ob das Fahrzeug vor seinem Import in Italien benutzt wurde.

Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob diese Einschätzung der Marktgegebenheiten auch noch für das Jahr 2003 und in Zukunft gelten. Maßgeblich für die Feststellung der Pflichtverletzung sind insoweit die Marktgegebenheiten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im März 2002 für ein im Jahre 1995 einzeln importiertes Fahrzeug.



b) Damit steht fest, dass die Bekl. beim Kaufabschluss dem Kl. einen preisbildenden Faktor objektiv verschwiegen hat, der den Marktwert des Kfz mehr als unerheblich beeinträchtigt. Angesichts dessen durfte der Kl. nach Treu und Glauben - auch ungefragt - eine Aufklärung über den Import des Fahrzeugs und die Eintragung im Kraftfahrzeugbrief von der Bekl. erwarten (vgl. dazu auch OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, 1063, für den Fall der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung über den Import eines Fahrzeuges aus dem Ausland und dessen deutlich niedrigerem Marktpreis; Reinkingl Eggert, Rdnrn. 449, 1694). Umstände, die diesen gebotenen Hinweis überflüssig gemacht hätten, sind weder dargetan noch ersichtlich.

Die Bekl. hat ihre Aufklärungspflicht schuldhaft, zumindest fahrlässig, verletzt. Sie hat bereits keine Tatsachen vorgetragen, die sie entlasten könnte. Dass der Bekl. bzw. ihrem Abschlussvertreter insbesondere ohne Verschulden unbekannt gewesen ware, dass der vom Kl. erworbene Renault Espace ein Einzelimport aus Italien war, behauptet sie selbst nicht. Dieser Umstand ist im Übrigen aus der Eintragung im Fahrzeugbrief klar ersichtlich.

3. Das schuldhafte Unterlassen dieses Hinweises ist für den Kaufabschluss zumindest mitursächlich geworden. Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass das Verschweigen eines wertmindernden Umstandes den Kaufentschluss zumindest mitbeeinflusst (BGH, NJW 1995, 2361 [2362]; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999,1063 [1064]).

4. Auf Grund der schuldhaften Pflichtverletzung der Bekl. konnte der Kl. vom Kaufvertrag zurücktreten und dessen Rückabwicklung verlangen (vgl. dazu nur Reinking/Eggert, Rdnr. 1772). Es ist der Kaufpreis in Höhe von 7700 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe des Renault Espace zurückzugewähren.

Zwar hätte der Kl. im Rahmen der Rückabwicklung auch gezogene Nutzungen gem. §§ 346 1, 281 V BGB herauszugeben (vgl. dazu Reinking/Eggert, Rdnr. 1398 f.). Allerdings steht auf Grund der Anhörung des Kl. im Termin vor dem Senat fest, dass er das Fahrzeug niemals zugelassen hat und es seit dem Erwerb im März 2002 in seiner Garage steht.



* Quelle: NJW-RR 2003, 1360 f