BGB § 229; StPO § 127 I

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AG Grevenbroich, Urteil v. 26.09. 2000 - 5 Ds 6 Js 136/00 *

Tatbestand: Der Angekl. besuchte in der Nacht vom 07. auf den 08. 08. 1999 mit Freunden zunächst eine Bierbörse sowie im Anschluss daran eine Diskothek in D. Dort hielt er sich bis 6:00 Uhr auf, wobei er bis zu diesem Zeitpunkt Alkohol in nicht unerheblicher Menge, nämlich vor allem Bier und möglicherweise ein bis zwei Glas Whisky, zu sich genommen hat; eine dem Angekl. am 08.08. 1999 gegen 10 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 1,46‰. Nachdem der Angekl. etwa gegen 6:00 Uhr seine Bekannten aus den Augen verloren hatte, begab er sich zu einem Taxistand und bestieg das vom Nebenkl. geführte Taxi. Er erklärte dem Nebenkl., dass er nach H. gefahren werden wolle, womit dieser einverstanden war. Möglicherweise wurde hierbei zwischen dem Angekl. und dem Nebenkl. vereinbart, dass für die Fahrt nach H. statt des regulären Fahrpreises ein Pauschalpreis von 40 DM bezahlt werden sollte. Etwa 3 km vor Erreichen der Ortschaft H. - etwa gegen 6.45 Uhr -befragte der Nebenkl. den Angekl. nach dem genauen Zielort. Dieser wies ihn daraufhin den Weg bis in die Ortschaft H. und ließ den Nebenkl. sodann auf der J.-Straße anhalten. Zwischenzeitlich hatte der Angekl. auch bemerkt, dass das Taxameter des Fahrzeugs eingeschaltet war und einen Betrag von etwa 80 DM anzeigte. Daraufhin entstand zwischen dem Angekl. und dem Nebenkl. eine Diskussion über den letztlich vom Angekl. zu zahlenden Fahrpreis. Während der Nebenkl. vom Angekl. die Zahlung des vom Taxameter angezeigten Betrags von etwa 80 DM verlangte, bestand der Angekl. darauf, lediglich den - nach seiner Schilderung der Ereignisse - zuvor vereinbarten Pauschalpreis von 40 DM zahlen zu müssen. Letztendlich bezahlte der Angekl. den nach seiner Auffassung geschuldeten Pauschalpreis von 40 DM und verließ sodann dann das Taxi des Nebenkl., obwohl dieser hiergegen protestierte und vom Angekl. die Zahlung des vom Taxameter angezeigten Fahrpreises verlangte. Der Nebenkl., der seine vermeintlichen Ansprüche auf Zahlung des Fahrpreises gefährdet sah, folgte dem sich eiligst entfernenden Angekl. und erreichte ihn schließlich, wobei er versuchte, ihn an der Schulter festzuhalten. Der Angekl. setzte sich hiergegen "mit Händen und Füßen" zur Wehr, was dazu führte, dass beide Beteiligten zu Boden gingen. Während der Nebenkl. nunmehr - unter ständigem Rufen nach der Polizei - versuchte, den Angekl. an den Beinen festzuhalten, trat dieser mit den Füßen nach dem Nebenkl., um sich aus dessen Umklammerung zu lösen. Während dies dem Angekl. nicht gelang, schaffte es der Nebenkl., aufzustehen und den Angekl. in den "Schwitzkasten" zu nehmen. Dieser setzte sich hiergegen zur Wehr, indem er den Nebenkl. in Arme und Hände biss, bis dieser losließ. Dies nutzte der Angekl. und flüchtete. Der Nebenkl. folgte dem Angekl. erneut und vermochte es, ihn nach etwa 150-200 Metern wieder einzuholen. Der Nebenkl. packte den Angekl. erneut, worauf beide wiederum zu Boden stürzten. Diesmal gelang es dem Angekl., sich aufzurichten und sich an einem dort geparkten Pkw oder einem anderen, halbhohen Gegenstand festzuhalten. Der Nebenkl. hielt den Angekl. jedoch nach wie vor an den Beinen fest; diesem gelang es auch durch erneutes, mehrfaches Treten mit den Füßen nicht, sich zu befreien. Zwischenzeitlich war der in der Nähe wohnende Zeuge O, ein Polizeibeamter, auf den Vorfall aufmerksam geworden und hatte sich dem Geschehen genähert. Er machte sich gegenüber den Beteiligten mit dem Ausruf "Halt, stehen bleiben, Polizei" bemerkbar, wodurch diese aufmerksam wurden und ihre Rangelei beendeten. Entgegen der Aufforderung durch den Zeugen O entfernte sich der Angekl. erneut vom Tatort und reagierte auch nicht auf eine erneute Ermahnung durch den Zeugen, stehen zu bleiben. Als dieser versuchte, ihn festzuhalten, drehte der Angekl. sich um und boxte den Zeugen O gegen den Oberarm, wodurch dieser zu Boden stürzte. Anschließend gelang es dem Zeugen jedoch, dem Angekl., der zunächst sein Gesicht hinter seinem bereits zerrissenen Hemd bzw. T-Shirt versteckte und sich sodann weiter entfernte, ein Stück weit zu folgen. Letztendlich verlor er den Angekl. jedoch aus den Augen; dieser versteckte sich in einem angrenzenden Gartengelände, wo er etwa zwei Stunden später von den alarmierten Polizeibeamten aufgefunden wurde. Das AG verurteilte den Angekl. wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 80 DM.



Gründe: IV. Der Angekl. hat sich nach den getroffenen Feststellungen wie folgt schuldig gemacht:

1. Durch die Tritte und Bisse zum Nachteil des Nebenkl. hat der Angekl. den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung gem. § 223 I StGB verwirklicht, indem er diesen hierdurch körperlich misshandelt und an der Gesundheit beschädigt hat. Soweit dem Angekl. darüber hinaus vorgeworfen war, durch die Tritte zum Nachteil des Nebenkl. den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 I StGB verwirklicht zu haben, konnte ihm dies in der Hauptverhandlung nicht nachgewiesen werden.

Die Tat des Angekl. war auch rechtswidrig; sie war insbesondere nicht durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt. Zwar ist nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung davon auszugehen, dass sich der Angekl. bei seinen Tätlichkeiten gegenüber dem Nebenkl. seinerseits gegen einen gegenwärtigen Angriff des Nebenkl. zur Wehr gesetzt hat. Dieser Angriff war jedoch nicht rechtswidrig, sondern durch ein Festnahmerecht nach § 127 I 1 StPO gerechtfertigt. Nach § 127 I 1 StPO hat jedermann das Recht zur vorläufigen Festnahme eines anderen, wenn dieser auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird, der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Hiernach war der Nebenkl. befugt, den Angekl. auch unter Anwendung physischer Gewalt festzuhalten. Der Angekl. war offensichtlich flüchtig; andere Möglichkeiten zur Feststellung seiner Identität gab es in der konkreten Situation nicht. Des weiteren war der Angekl. vom Nebenkl. auch auf "frischer Tat betroffen" worden. Unter den Tatbegriff des § 127 1 I StPO fällt jedes Verhalten, das eine strafrechtliche Sanktion nach sich ziehen kann, es muss sich daher um eine Straftat oder zumindest eine rechtswidrige Tat handeln, wobei jedoch die Festnahmebefugnis der Privatperson nicht davon abhängt, dass der Betroffene wirklich eine Tat begangen hat. Es genügt vielmehr, dass die erkennbaren äußeren Umstände einen dringenden Tatverdacht nahe legen (vgl. Boujong, in: KK-StPO, Rdnrn. 7, 9 m. w. Nachw.). Unstreitig hat sich der Angekl. vom Nebenkl. von D. nach H. transportieren lassen und anschließend -unabhängig von der Frage, ob er überhaupt etwas bezahlt hat - den vom Taxameter angezeigten Betrag von etwa 80 DM nicht bezahlt. Allein diese unstrittigen bzw. objektiven Umstände begründeten den dringenden Verdacht, dass sich der Angekl. die Beförderung durch den Nebenkl. erschleichen wollte und damit zu demjenigen Zeitpunkt, als der Nebenkl. ihn begann festzuhalten, einen vollendeten oder versuchten Betrug zu dessen Lasten begangen hatte.



Die Einlassung des Angekl., er habe mit dem Nebenkl. einen Fahrpreis von pauschal 40 DM vereinbart, ändert an diesem Ergebnis nichts. Sie mag dazu führen, dass dem Angekl. ein Betrug zu Lasten des Nebenkl. und im Übrigen auch eine daran anschließende räuberische Erpressung nicht nachzuweisen ist; an dem dringenden Tatverdacht, der sich allein aus den unstreitigen Umständen ergab, ändert diese Einlassung jedoch nichts, so dass der Nebenkl. im Ergebnis berechtigt war, den Angekl. auch unter Anwendung von Gewalt festzuhalten, um zumindest seine Identitätsfeststellung zu ermöglichen.

Dem Nebenkl. stand darüber hinaus auch ein Selbsthilferecht nach § 229 BGB zur Seite. Hiernach handelt nicht widerrechtlich, wer zum Zwecke der Selbsthilfe einen Verpflichteten, welcher der Flucht verdächtig ist, festnimmt, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde. Die Voraussetzungen des § 229 BGB waren im vorliegenden Falle gegeben. Der Nebenkl. hatte nämlich gegen den Angekl. aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Beförderungsvertrag in Verbindung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben einen Anspruch auf Mitteilung von dessen Namen und Anschrift, der mangels anwesender obrigkeitlicher Hilfe vereitelt worden wäre, wenn der Nebenkl. den Angekl. nicht selbst festgehalten hätte. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) besteht zwischen den Parteien einer vertraglichen oder gesetzlichen Sonderverbindung eine Auskunftsverpflichtung, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann, während der Berechtigte sich die Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, § 261 Rdnrn. 8 ff.). Nach diesen Grundsätzen ist dem Nebenkl. im vorliegenden Fall ein gegen den Angekl. gerichteter Auskunftsanspruch zuzubilligen, den er mittels seines Selbsthilferechts nach § 229 BGB durchsetzen konnte. Die Parteien hatten in D. eine vertragliche Vereinbarung des Inhalts getroffen, dass der Nebenkl. den Angekl. mit seinem Taxi nach H. befördern sollte. Üblicherweise werden im Zusammenhang mit solchen Beförderungsverträgen weder vor noch während noch im Anschluss an die Fahrt Namen oder Anschrift des Fahrgasts mitgeteilt, weil es den Parteien hierauf in aller Regel nicht ankommt. Anders muss es sich jedoch dann verhalten, wenn es während oder nach der Fahrt zu Streitigkeiten zwischen dem Taxifahrer einerseits und dem Fahrgast andererseits kommt. In solchen Fällen ergibt sich aus dem zwischen dem Fahrgast und dem Taxifahrer geschlossenen Beförderungsvertrag für den Fahrgast die Nebenpflicht, dem Taxifahrer Auskunft über seine Personalien, mindestens jedoch seinen Namen zu erteilen. Denn anderenfalls hätte der Taxifahrer bzw. der Beförderungsunternehmer, in dessen Diensten der Taxifahrer steht, keinerlei Möglichkeiten, den Sachverhalt und die Rechtslage aufzuklären und gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt seine vermeintlichen Ansprüche gegen den Fahrgast durchzusetzen. Billigt man dagegen dem Taxifahrer einen solchen Auskunftsanspruch nicht zu, hätte der Fahrgast unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten im Streitfall jederzeit die Möglichkeit, ohne Nennung irgendwelcher Personalien das Fahrzeug zu verlassen und hierdurch dem Taxifahrer jegliche Durchsetzung seiner - wenn auch nur vermeintlichen - Ansprüche unmöglich zu machen. Dies jedoch würde eine der Vertragsparteien unangemessen benachteiligen und damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen.



Nach Auffassung des Gerichts war daher der Nebenkl. berechtigt, in der konkreten Situation vom Angekl. zumindest die Nennung seines Namens, wenn nicht auch seiner Anschrift zu verlangen, um etwaige weiter gehende Ansprüche gegen ihn zu einem späteren Zeitpunkt durchzusetzen zu können.

Nach alledem sind die Handlungen des Nebenkl. - das Festhalten des Angekl. - als rechtmäßig und damit zugleich die Handlungen des Angekl. zum Nachteil des Nebenkl. als rechtswidrig zu beurteilen. Letzteres gilt selbst dann, wenn man sich der Auffassung des Gerichts nicht anschließt und dem Taxifahrer weder ein Festnahme- noch ein Selbsthilferecht zubilligt. Zwar wären dann die Handlungen des Nebenkl. als rechtswidrig zu beurteilen, womit sich der Angekl. grundsätzlich gegen den Angriff des Nebenkl. hätte zur Wehr setzen dürfen. In der konkreten Situation wären die zum Nachteil des Nebenkl. begangenen Handlungen des Angekl. aber selbst dann nicht durch Notwehr geboten gewesen, wenn der Nebenkl. rechtswidrig gehandelt hätte. Eine Handlung ist nämlich zur Abwehr eines Angriffs nicht geboten, wenn von dem Angegriffenen ein anderes Verhalten zu fordern oder ihm zuzumuten ist, insbesondere wenn die Verteidigung als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre (Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 32 Rdnr. 18). Genauso verhält es sich im vorliegenden Fall. Der Angekl. wusste, dass zwischen ihm und dem Nebenkl. Streit über den zu zahlenden Fahrpreis bestand. Dennoch hat er sich vom Fahrzeug entfernt und versucht zu flüchten. Damit hat er die Festhalteversuche des Nebenkl. zwar nicht absichtlich, aber doch fahrlässig herausgefordert, so dass ihm letztlich zumutbar war, auf den ersten Festhalteversuch des Nebenkl. zu reagieren, an Ort und Stelle zu verbleiben und auf das Eintreffen von Polizeibeamten zu warten, die im Interesse des Nebenkl. seine Personalien hätten aufnehmen können. Nach alledem kann das Verhalten des Angekl. im Ergebnis nicht als gerechtfertigt angesehen werden; er war deshalb wegen der rechtswidrig und schuldhaft zum Nachteil des Nebenkl. begangenen Körperverletzung zu verurteilen.



2. Durch die Tat zum Nachteil des Zeugen O hat sich der Angekl. ebenfalls der vorsätzlichen Körperverletzung gem. § 223 StGB schuldig gemacht. Insoweit sind Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe nicht zu erkennen. Der Festhalteversuch des Zeugen O war ersichtlich ebenfalls gem. § 127 StPO gerechtfertigt, und zwar im Hinblick auf die zuvor zum Nachteil des Nebenkl. begangene Körperverletzung. Soweit dem Angekl. darüber hinaus vorgeworfen worden war, durch seine Tätlichkeit gegenüber dem Zeugen O gegen § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) verstoßen zu haben, war ihm dies in der Hauptverhandlung nicht mit einer für die Verurteilung hinreichenden Sicherheit nachzuweisen. Er hat sich unwiderlegbar dahingehend eingelassen, er habe die Eigenschaft des Zeugen O als Polizeibeamter nicht wahrgenommen, was im Hinblick auf dessen Auftreten im Schlafanzug nicht verwundert.

V. Im Rahmen der Strafzumessung war wegen beider Einzeltaten vom Strafrahmen des § 223 StGB auszugehen, der Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vorsieht. Dieser Strafrahmen war zunächst gern. §§ 21, 49 1 StGB zu mildern, und zwar auf einen Rahmen von einem Monat bis zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe oder Geldstrafe.



* Quelle: NJW 2002, 1060 f