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BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschluss v. 20. 8. 2001 - 1 BvR 1509/97 - *
Tatbestand: Der Bf. wendet sich gegen die Höhe von Unterhaltszahlungen, zu denen er verurteilt worden ist. Der Bf. und die Kl. zu
1 des Ausgangsverfahrens waren miteinander verheiratet. Aus der seit 1992 rechtskräftig geschiedenen Ehe sind zwei 1983 und
1989 geborene Kinder - die Kl. zu 2 und 3 des Ausgangsverfahrens hervorgegangen, die bei ihrer Mutter leben. Seit November
1994 war der Bf. einem weiteren nicht ehelichen Kind zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet und bezahlte monatlich 239 DM
Kindesunterhalt. Mit der angegriffenen Entscheidung hat das OLG den Bf. unter anderem verurteilt, an seine geschiedene Ehefrau
und die beiden ehelichen Kinder monatlichen Ehegatten- und Kindesunterhalt für die Zeit vom 1. 7. 1996 bis zum 31. 12. 1996 in
Höhe von insgesamt 1649,10 DM, für Januar 1997 von insgesamt 1639,60 DM und ab Februar 1997 von insgesamt 1993,50 DM zu
bezahlen. Das OLG hat der Unterhaltsberechnung ein Nettoeinkommen des Bf. für 1996 in Höhe von 3806,20 DM, für die Zeit bis
April 1997 von 3943,14 DM und ab Mai 1997 von 3928,89 DM zu Grunde gelegt, wobei A diesem jeweils den Arbeitgeberanteil
zur Kranken- und Pflegeversicherung des Bf. hinzugerechnet hat. Ohne eine solche Hinzurechnung hat das Nettoeinkommen des Bf.
im Jahr 1996 3365,40 DM, in der Zeit bis April 1997 3501,60 DM und ab Mai 1997 3473,10 DM betragen. Darüber hinaus hat das
OLG den in den Einkommensbelegen des Bf. ausgewiesenen Abzugsposten für die private Benutzung eines Kraftfahrzeugs in Höhe
von monatlich 430 DM ebenfalls dem Nettoeinkommen zugeordnet, da der Bf. die bei seinem Einkommen üblichen und
angemessenen Grundkosten für die private Haltung eines Kraftfahrzeugs einspare.
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg, soweit sie zur Entscheidung angenommen wurde.
Entscheidungsgründe: ... II. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des OLG in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gern. § 93 b BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Bf. aus Art. 2 I GG angezeigt ist (§ 93 a II lit. b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde ist insoweit gern. § 93 c I BVerfGG stattzugeben, denn sie ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das BVerfG bereits entschieden. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Bf. in dem bezeichneten Umfang in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG.
Die Auferlegung von Unterhaltsleistungen schränkt den Verpflichteten in seiner durch Art. 2 1 GG geschützten Handlungsfreiheit
ein. Diese ist jedoch nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet, zu der auch das Unterhaltsrecht gehört, soweit
dieses mit Art. 6 I GG in Einklang steht (BVerfGE 57, 361 [378] = NJW 1981, 1771). Dabei darf die Auslegung und Anwendung
verfassungsgemäßer unterhaltsrechtlicher Normen nicht zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen (vgl. BVerfGE 80, 286 [294] =
NJW 1989, 2807). Der ausgeurteilte Unterhalt darf nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unterhaltspflichtigen führen
(vgl. BVerfGE 57, 361 [388] = NJW 1981, 1771; BVerfGE 80, 286 [2931 = NJW 1989, 2807 unter Hinweis auf BVerfGE 35, 202
[2211 = NJW 1973, 1226). Wird die Grenze des Zumutbaren eines Unterhaltsanspruchs überschritten, ist die Beschränkung der
Dispositionsfreiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr
Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art. 2 I GG nicht bestehen (BVerfGE 57, 361
[381] NJW 1981, 1771).
Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht ist § 1603 I BGB, nach dem nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Dieser Grundsatz ist insoweit eingeschränkt, als Eltern, die sich in dieser Lage befinden, gern. § 1603 II BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet sind, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Für den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten bestimmt § 1581 BGB, dass der Verpflichtete, wenn er außer Stande ist, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts dem Berechtigten Unterhalt zu gewähren, nur insoweit Unterhalt zu leisten braucht, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse sowie die Erwerbsund Vermögensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht.
Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs ist damit die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten (vgl. Staudinger/Engler/Kaiser, BGB, Neubearb., 2000, § 1603 Rdnr.2; Johannsen/Henrich, EheR, 3. Aufl. § 1581 Rdnr.1; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rspr. zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rdnr. 573). Das Unterhaltsrecht ermöglicht es insofern den Gerichten, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung zu tragen. Die Gerichte haben im Einzelfall zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige in der Lage ist, den beanspruchten Unterhalt zu zahlen oder ob dieser unbeschadet der Zulässigkeit der Zurechnung fiktiven Einkommens - die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen übersteigt.
Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet jedenfalls dort, wo der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz
zu sichern. Zur Bestimmung dieser Grenze haben die OLG in unterhaltsrechtlichen Leitlinien Selbstbehaltssätze aufgestellt. In der
Düsseldorfer Tabelle ist der notwendige Eigenbedarf des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen seit dem 1. 1. 1996 bei 1500 DM
angesetzt (NJW- Beil.1996, 5). Jedenfalls aber dienen die Regelsätze der Sozialhilfe dazu, den Eigenbedarf eines
Unterhaltspflichtigen auszumachen. Die Rechtsprechung geht hier vom doppelten Eckregelsatz eines Haushaltsvorstands nach § 22
BSHG aus. Die Grenze der finanziellen Belastbarkeit hat unter Berücksichtigung dieser Annäherungswerte ab Juli 1996 zwischen
1100 und 1500 DM gelegen (vgl. BGH, NJW 1989, 523 = FamRZ 1989, 272 f.; zu den Eckregelsätzen eines Haushaltsvorstands
gern. § 22 BSHG ab dem 1.7.1996 vgl. FamRZ 1996, 1264).
Dem hat das OLG bei der Anwendung des Unterhaltsrechts für den Zeitraum ab 1.7.1996 nicht hinreichend Rechnung getragen und
damit das Grundrecht des Bf. aus Art. 2 I GG verletzt. Nach Abzug des ausgeurteilten Unterhalts, der Unterhaltszahlungen des Bf.
an sein 1994 geborenes Kind, der Kosten für die private Nutzung des Dienstwagens sowie der Beiträge des Bf. zur Kranken- und
Pflegeversicherung ist dem Bf. ab 1.7.1996 von seinem Nettoeinkommen ein verfügbarer Betrag verblieben, der deutlich niedriger
gewesen ist als der Selbstbehaltssatz eines Erwerbstätigen nach der vom OLG angewandten Düsseldorfer Tabelle. Dies hätte das
OLG veranlassen müssen zu prüfen, ob damit das Existenzminimum des Bf. unterschritten gewesen ist. Auch zeigt ein Blick auf die
vom Bf. dem Gericht vorgelegten Gehaltsabrechnungen, dass ihm zur damaligen Zeit monatlich durchschnittlich ca. 2850 DM
ausgezahlt worden sind. Dies hätte beim OLG Bedenken aufkommen lassen müssen, ob angesichts der vom Gericht errechneten und
dann ausgeurteilten Unterhaltsverpflichtung des Bf. dessen finanzielle Leistungsfähigkeit ab Juli 1996 noch gewahrt gewesen ist.
Das OLG hat bei der Anwendung des Unterhaltsrechts, insbesondere der §§ 1603 und 1581 BGB, das Grundrecht des Bf. aus Art.
2 I GG auf Schutz vor einer unverhältnismäßigen Belastung durch Unterhaltsleistungen verkannt. Die angegriffene Entscheidung
beruht hinsichtlich der Höhe der Unterhaltsbeträge für die Zeit nach dem 1.7.1996 auf diesem Grundrechtsverstoß und ist daher aufzuheben.
* Quelle: NJW-RR 2002, 73 f