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Aussagetüchtigkeit mit 3,8 Promille

AG Giessen, Urteil vom 17. April 1998, 54/07 Ds 8 Js 24617.0/96

Gegen die Glaubwürdigkeit eines Mitangeklagten und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben bestehen in Mittelhessen auch dann keine Bedenken, wenn dieser seine die anderen Mitangeklagten belastenden Angaben in erheblich alkoholisiertem Zustand (hier 3,8 Promille) gemacht hat und sie später mit geringen Abweichungen bestätigt, sonst aber keine weiteren Angaben machen kann.(Leitsatz der KD-Redaktion)

Der Angeklagte R. wird wegen Vortäuschens einer Straftat zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 40,-- DM verurteilt. Der Angeklagte K. ist der Anstiftung zum Vortäuschen einer Straftat und des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln schuldig. Gegen ihn wird eine Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu 30,-- DM verhängt. Der Angeklagte H. ist der Anstiftung zum Vortäuschen einer Straftat schuldig. Er wird zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. ...

Angewendete Vorschriften:

bzgl. R.: § 145 d,
bzgl. H.: §§ 145 d, 26 StGB,
bzgl. K.: §§ 145 d, 26, 53 StGB, 1, 3, 29 Abs. I Nr. 1 BtMG.

G r ü n d e:

Im Jahre 1995 lernten die Angeklagten K. und H. den Angeklagten R., der damals in der Rödgener Straße in Gießen wohnte, sich gerade von seiner Frau getrennt hatte und unter Alkoholproblemen litt, kennen. Der Angeklagte H. war Eigentümer des BMW's 635 CSi mit dem amtlichen Kennzeichen GI-KS 93. Dieses Fahrzeug hatte seine damalige Freundin S. im Jahre 94 oder 95 zu einem Preis zwischen 10.000,00 DM und 12.000,00 DM erworben und ihm geschenkt. Der BMW war zunächst auf sie zugelassen und auch versichert gewesen. Da die Kosten hierfür die finanziellen Möglichkeiten der Zahnarzthelferin S. überstiegen, meldete sie das Fahrzeug ab. Daraufhin fragten die Angeklagten K. und H. den Angeklagten R., der mit seinem Pkw einen Totalschaden erlitten und sich danach kein neues Fahrzeug angeschafft hatte, ob er den Pkw des Angeklagten H. auf seinen Namen zulassen und versichern würde. Der Angeklagte R. war hiermit einverstanden, meldete den BMW im März 1996 unter seinem Namen bei der Zulassungsstelle an und schloß bei der RV-Versicherung absprachegemäß eine Teilkaskoversicherung ab.

Etwas später schlugen die Angeklagten K. und H. dem Angeklagten R. einen Betrug zum Nachteil der Versicherung vor. Man wollte den BMW in Italien anzünden. Das sollte der Angeklagte R. Polizei und Versicherung melden. Die Versicherungssumme aus der Teilkaskoversicherung sollte der Angeklagte R. kassieren und an die Angeklagten K. und H. weiterleiten. Hierfür versprachen diese ihm 1.000,00 DM. Der Angeklagte H. verbüßte zu dieser Zeit eine Freiheitsstrafe im offenen Vollzug im Wolfgang-Mittermaier Haus in Gießen.

Im Juli 1996 rief der Angeklagte K. den Angeklagten R. an und teilte ihm mit, der BMW sei in Italien abgebrannt. Die Angeklagten K. und H. setzten dem Angeklagten R. danach mehrfach zu, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Dabei drohten sie ihm auch körperliche Gewalt an. Der Angeklagte R. bekam Angst, gab dem Druck nach und zeigte am 21.08.1996 gegen 09:10 Uhr wahrheitswidrig bei der Polizeistation in Gießen an, sein vor dem Schwimmbad in der Ringallee abgestellter BMW mit dem amtlichen Kennzeichen GI-KS 93 sei in der Nacht vom 20.08. zum 21.08.1996 gestohlen worden. Die Einzelheiten dieser Anzeige hatte er sich ohne Rücksprache mit seinen Mitangeklagten selbst ausgedacht. Von dem Angeklagten H. erhielt der Angeklagte R. zur Schadensabrechnung bei seiner Versicherung ein Gutachten des Ingenieursbüro G. vom 28.10.1994 und eine Gebrauchtfahrzeugbewertung des KFZ Sachverständigenbüros Engel vom 31.08.1993, wonach der BMW zu dieser Zeit einen Wiederbeschaffungswert von 18.600,00 DM aufwies. Nach der Anzeigeerstattung bei der Polizei suchte der Angeklagte K. den Angeklagten R. an seiner Arbeitsstelle beim Handelshof auf und fragte ihn, ob er die Anzeige absprachegemäß erstattet hätte. Er drängte den Angeklagten R. nochmals, den Schaden nun umgehend der Versicherung zu melden.

Nach der Anzeigeerstattung kamen dem Angeklagten R. Bedenken. Er besprach sich mit seiner Ehefrau, mit der seit seiner Entlassung wegen Alkoholproblemen aus dem PKH im März 1996 wieder zusammenlebte. Danach hatte er zunächst keinen Alkohol mehr getrunken. Zusammen mit seiner Ehefrau erschien er am 29.08.1996 bei der Polizeistation in Giessen und offenbarte den wahren Sachverhalt. Wegen der psychischen Anspannung nahm er, bevor er zur Polizei ging, Alkohol zu sich. Ein Alkoholtest dort ergab einen Wert von 3,8 Promille. Deshalb wurde der Angeklagte am 01.10.1996 nochmals in nüchternem Zustand von der Kriminalkommissarin S. befragt. In dieser Vernehmung bestätigte er seine Angaben vom 29.08.1996 mit nur geringen Abweichungen. Eine Woche später überreichte er ihr das Gutachten des Ingenieurbüros G. vom 28.10.1994 sowie die Gebrauchtfahrzeugbewertung des Kraftfahrzeugsachverständigenbüros Engel vom 31.08.1993 zur Akte.

Der BMW wurde nicht wieder aufgefunden. Mit Fernschreiben vom 30.08.96 fragte die KOK'in S. im Wege der Rechtshilfe über das Bundeskriminalamt in Italien nach dortigen Erkenntnissen über einen Brand des BMW's mit dem Kennzeichen GI-KS 93. Mit Fernschreiben vom 11.06.97 teilte das Bundeskriminalamt mit, dass ausweislich eines Fernschreibens der zuständigen Behörde in Rom bzgl. des nachgefragten Fahrzeuges keine Brandmeldung festgestellt und auch der Verbleib des BMW's nicht geklärt werden konnte. Im Hauptverhandlungstermin am 17.04.1998 legte der Angeklagte H. ein bei seinem Verteidiger am 22.05.1997 eingegangenes, in italienischer Sprache abgefasstes und teilweise ausgefülltes, aber nicht unterzeichnetes Formular vor, bei dem es sich um eine Brandmeldung der italienischen Feuerwehr handeln soll.

Am Abend des 24.06.1997 kaufte der Angeklagte K. im Bereich der Spielothek in Gießen von einem Unbekannten 1,52 g brutto Kokain zum Eigenkonsum für 150,00 DM.

Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der in der Hauptverhandlung durchgeführten und aus der Sitzungsniederschrift ersichtlichen Beweisaufnahme.

Der Angeklagte R. hat den Sachverhalt, wie eingangs festgestellt, eingeräumt. Der Angeklagte K. war geständig bezüglich des von ihm am 24.06.1997 erworbenen Kokains. Im übrigen stellten die Angeklagten H. und K. in Abrede, dem Angeklagten R. eine Falschanzeige bei der Polizei vorgeschlagen zu haben. Sie gaben an, der BMW sei anlässlich einer Urlaubsfahrt des Angeklagten K. mit dem Fahrzeug in der Nähe von Mailand abgebrannt. Der Angeklagte R. habe als Versicherungsnehmer diesen Vorfall lediglich der Teilkaskoversicherung mitteilen sollen. Seine Diebstahlsanzeige bei der Polizei am 21.08.1996 sei ohne ihr Wissen und aus eigenem Antrieb des Angeklagten R. erfolgt. Möglicherweise habe er die Versicherungssumme nicht an sie weiterleiten, sondern selbst einstecken wollen.

Die Angeklagten H. und K. sind jedoch durch die Angaben des Angeklagten R. überführt. Dessen Version ist glaubhaft und inhaltlich nachvollziehbar. Seine Angaben im Termin stimmen mit denen anlässlich seiner polizeilichen Vernehmungen vom 29.08. und 01.10.1996 überein. Dabei zu beobachtende Abweichungen in bezug auf den Zeitpunkt, in dem der Plan des Betrugs zu Lasten der Versicherung gefasst worden sein soll, sprechen nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner Darstellung. Denn dabei handelt es sich aus Sicht des Angeklagten R. um eine eher unwesentliche Frage, bei deren Beantwortung er sich - vor diesem Hintergrund verständlich - von Anfang an nicht ganz sicher war. Seine Einlassungen im übrigen und damit der Kern des Geschehens stimmen demgegenüber in jedem Punkt überein. Trotz der Anwesenheit der Mitangeklagten H. und K. blieb der Angeklagte R. auch im Hauptverhandlungstermin bei seiner ursprünglichen Schilderung, was ebenfalls für die Richtigkeit seiner Angaben spricht. Seine Darstellung macht sowohl in bezug auf den geplanten Betrug inhaltlich, wie auch bezüglich des äußeren Ablaufs, der zu dem Geständnis des Angeklagten R. führte, einen Sinn. Insbesondere ist nachvollziehbar, dass der Angeklagte R., nach der Tat unter Schuldgefühlen litt, erneut dem Alkohol zusprach und sich nach eingehender Beratung mit seiner Ehefrau zur Offenlegung der Wahrheit entschloss und mit ihr zusammen die Polizeistation in Gießen aufsuchte, um den Sachverhalt klarzustellen. Ferner sind seine Angaben im Hinblick auf die Tat und auch bezüglich des Nachtatverhaltens des Angeklagten K. detailreich, stimmig und widerspruchsfrei. Zudem hat sich der Angeklagte R. mit seinem Geständnis selbst belastet.

Hingegen macht die Version der Mitangeklagten K. und H. keinen Sinn. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum der Angeklagte R. die Anzeige aus Eigenantrieb erstattet haben sollte. Hätte er es tatsächlich auf die Versicherungssumme abgesehen gehabt, so wäre das Geld im Fall einer Auszahlung ohnehin zunächst auf das Konto des Angeklagten R. geflossen. Mithin bedurfte es - unredliche Absichten des Angeklagten R. gegenüber den Mitangeklagten unterstellt - zur Täuschung der Angeklagten K. und H. und Erlangung der Versicherungssumme, der Diebstahlsanzeige nicht. Vielmehr hätte nichts dagegen gesprochen, der Versicherung den verabredeten Brandschaden zu melden und die Versicherungssumme unter einem Vorwand zu behalten. Im übrigen ist nicht ersichtlich, warum der Angeklagte R. einerseits den BMW ohne Gegenleistung auf seinen Namen angemeldet und versichert haben, dann aber die Mitangeklagten H. und K. hintergangen und auch noch gegenüber der Polizei zu Unrecht einer Straftat bezichtigt haben sollte.

In diese Richtung weisen auch die Bekundungen der Zeugin S. nicht. Zwar gab der Angeklagte R. an, ihr von den wahren Vorkommnissen berichtet zu haben, was die Zeugin nicht bestätigte. Dies spricht jedoch nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Angeklagten R., weil sich die Zeugin ersichtlich zurückhaltend äußerte und mit ihrem früheren Freund H. nichts mehr zu tun haben wollte, weshalb sie das Geschehen verdrängt haben mag. Auch ist nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte R. ihr gegenüber unklar äußerte oder sich bezüglich des Inhalts des Gesprächs mit der Zeugin S. im nachhinein irrte. Selbst dann erscheinen seinen Angaben zum eigentlichen Tatgeschehen aus den bereits ausgeführten Gründen glaubhaft.

Weitere Ermittlungen waren nicht zu tätigen. Insbesondere war eine Übersetzung der von dem Angeklagten H. überreichten Kopien in italienischer Sprache nichts zu veranlassen. Zunächst enthalten die Unterlagen keine Unterschrift. Mithin ist der konkrete Verfasser nicht identifizierbar. Selbst wenn es sich dabei um einen Brandbericht der italienischen Feuerwehr handeln sollte, was der Angeklagte H. behauptet, wäre ein solcher für die Entscheidung vorliegender Sache ohne Bedeutung. Denn es geht um eine Diebstahlsanzeige gegenüber der Polizeistation in Giessen, auf deren Wahrheitsgehalt ein beabsichtigter oder unfreiwilliger Brand an dem BMW in Italien keinen Einfluß hat. Ebensowenig war gegenüber der Versicherung zu ermitteln. ...

M. Richterin am AmtsG